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Berliner Wirtschaft: Durchstarten im Netz

Immer mehr Online-Dienste kommen aus Berlin. Bei Firmengründungen liegt die Stadt bundesweit vorn

In einer Ecke des Atriums, dem schönsten Platz des Firmengebäudes, saßen Constantin Bisanz und Christian Heitmeyer am Dienstag in roten und champagnerfarbenen Ledersesseln und zogen gut gelaunt Bilanz. Ein Jahr ist es erst her, dass ihr Einkaufsclub Brands4friends.de online ging. Doch schon jetzt ist er nach eigenen Angaben Deutschlands größter Shoppingclub im Internet. Das Konzept besteht darin, ausgewählte Produkte renommierter Mode- und Lifestylemarken in zeitlich begrenzten Verkaufsaktionen um bis zu 70 Prozent billiger anzubieten.

Zwar kann bei Brands4friends.de nur kaufen, wer Mitglied ist, wozu es einer Empfehlung bereits registrierter Kunden bedarf. Doch gerade in der Exklusivität sieht Bisanz einen Grund für den Erfolg: Mehr als eine Million Mitglieder kaufen täglich etwa 10 000 Blusen, Kleider oder Jacken, und jeden Tag kommen bis zu 10 000 Nutzer hinzu. „Dass es so schnell geht, hätten wir nicht gedacht“, sagt Bisanz. Jetzt aber, da „die Leute sich den Wecker auf sieben Uhr stellen, um ein begehrtes Produkt zu ergattern“, hält er fast alles für möglich. Für 2008 strebt er 30 Millionen Euro Umsatz an. Und später „wollen wir das nächste Amazon werden“.

Berlins Internet-Gründerszene scheint obenauf. Laut Alexander Kölpin von der Wirtschaftsfördergesellschaft Berlin Partner ist hier „das europäische Zentrum des Web 2.0 – der zweiten Generation des Internets“. In keiner anderen deutschen Stadt würden so viele Onlinefirmen mit etlichen Arbeitsplätze gegründet.

„Vor allem Spezialisten wie Programmierer oder Webdesigner werden gesucht“, sagt Katja Kühnel, Koordinatorin für Kreativwirtschaft bei der Industrie- und Handelskammer (IHK). Zwar gibt es keine Branchenzahlen, doch die Einstellungen einzelner Firmen belegen den Jobzuwachs. Brands4friends etwa hat 80 Mitarbeiter eingestellt, bis Jahresende sollen es 100 sein. Noch schneller entwickelt sich Panfu.de, eine virtuelle Kinderwelt. Ende 2007 von zwei Mittzwanzigern gegründet, beschäftigt das Start-up jetzt 100 Mitarbeiter und plant im kommenden halben Jahr weitere 50 Stellen.

Die vielen Aktivitäten beruhen laut Alexander Hüsing, Gründer und Chefredakteur des Internetmagazins „deutsche- startups.de“, auf den „günstigen Mieten und dem kreativen Potenzial Berlins“. Hinzu kommt die Wirtschaftsförderung: Berlin Partner begleitet Gründer bei der Bürosuche, hilft ausländischen Firmen bei Formalitäten und unterstützt die internationale Branchenmesse „O’Reilly Web 2.0 Expo“. Diese gastiert vom 21. bis 23. Oktober zum zweiten Mal in der Stadt.

Erfolgreiche Start-ups wie Jamba oder Formblitz dienen als Vorbild. Der vor acht Jahren gestartete Klingeltonanbieter Jamba beschäftigt 800 Mitarbeiter und ist von Berlin aus weltweit tätig. Die Formblitz AG entstand 2001 als Dienstleister für ausdruckbare Mustervorlagen vom Mietvertrag bis zur Steuererklärung. Mit monatlich 700 000 Nutzern gehört sie nicht zur ganz großen Liga, ist aber seit dem zweiten Jahr profitabel.

Heute sind Firmengründungen wegen drastisch gesunkener Kosten für Hard- und Software nicht mehr so teuer wie noch vor wenigen Jahren. Jens Lauer, der vor wenigen Tagen das „Kauf- und Hilf“-Portal Kauhi.de gestartet hat, investierte „viele Arbeitsstunden, aber nur ein paar Tausend Euro“. Und wenn doch das große Geld benötigt wird, stehen Risikokapitalgeber bereit. Zwei der größten sind Burda Digital Ventures sowie Holtzbrinck Ventures, das unter anderem an Brands4friends und Studi VZ beteiligt ist und wie der Tagesspiegel zur Verlagsgruppe Holtzbrinck gehört.

Weitere Geldgeber sind die „Business Angels“ – ehemalige Gründer, die ihre Unternehmen für viel Geld verkauft haben und nun Nachfolger unterstützen. Lukasz Gadowski, Erfinder der T-Shirt-Druckerei Spreadshirt und Mitbegründer des Studentenportals Studi VZ, bündelt zurzeit seine Firmenbeteiligungen in seinem neuen Unternehmen „Team Europe Venture“. Die Finanzierungsmöglichkeiten für Start-ups „stecken im Vergleich zu den USA noch in den Kinderschuhen“, begründet er sein Engagement und sieht weiterhin einen großen Markt: „Immer mehr Menschen nutzen das Internet, es gibt neue Anwendungen, und nun kommen auch noch mobile Dienste hinzu.“

Alexander Kölpin von Berlin Partner ist überzeugt, dass „wir so etwas wie Jamba wieder bekommen werden“. Große Hoffnungen setzt er in die Metaversum GmbH und ihr im September gestartetes Portal Twinity – eine Nachbildung Berlins in der virtuellen Welt. Metaversum-Chef Jochen Hummel nennt die ersten Erfahrungen „sehr positiv“. Den Menschen mache es „Spaß, ein zweites Leben zu führen“, am Bildschirm durch die Straßen zu laufen, Galerien oder Bars zu besuchen und Appartements zu beziehen. Bald will Hummel auch New York und Tokio digital nachbauen.

Sabine Hölper

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