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© David von Becker

Fachkräftemangel: Viele Lehrstellen bleiben Leerstellen

Lange wurde der Fachkräftemangel vorhergesagt, jetzt ist er da. Qualifizierte Azubis können ihren Arbeitsplatz bald frei wählen.

Von Fatina Keilani

Das Telefon klingelt, Finanzsenator Ulrich Nußbaum (SPD) geht ran – und lacht schallend. Im Hörer erklingt eine elektronische Stimme: „Ein Brand in Ihrem Haus. Benachrichtigen Sie die Feuerwehr und quittieren Sie mit der 8.“ Denn Kevin Giesa, Azubi für Systeminformatik im zweiten Lehrjahr, hat Rauchsensoren und Temperaturfühler mit einer Wählanlage verschaltet, um einen automatischen Notruf auszulösen. Nußbaum scherzt: „Bei mir brennt es, und ich soll erst noch quittieren!“ Dennoch ist er beeindruckt vom Charlottenburger Ausbildungszentrum der BVG, wo ihm die Lehrlinge viele ungewöhnliche Ideen vorgeführt haben.

415 junge Leute werden bei den Verkehrsbetrieben in zehn Berufen ausgebildet, sie lernen zum Beispiel Gleisbauer, Mechatroniker und Industriemechaniker. In diesem Jahr werden 128 eingestellt, zehn mehr als 2009. Gut die Hälfte wird unbefristet übernommen. Senator Nußbaum, der im BVG-Aufsichtsrat sitzt, spricht bei seinem Besuch auch den anderen Mut zu: „Wenn es hier nicht klappt, dann eben woanders – wir brauchen euch alle.“ Das liege am demografischen Wandel, der schon jetzt zum Fachkräftemangel führe.

Tatsächlich mangelt es vielerorts am Nachwuchs, die Bewerberzahlen sinken. Bald könnte es mehr offene Stellen als Fachkräfte geben, und dann stehen Firmen am besten da, die sich den qualifizierten Nachwuchs gesichert haben. Auch deshalb haben Berliner Unternehmen im Vorjahr unverändert stark ausgebildet – trotz der Wirtschaftskrise. Mit knapp 6000 Ausbildungsbetrieben sei das Niveau des Rekordjahrs 2008 wieder erreicht worden, stellt die Industrie- und Handelskammer fest. Wirtschaft und Bundesregierung kündigten gerade eine Neuauflage des im Herbst auslaufenden Ausbildungspaktes an. Die Zusammenarbeit zur besseren Vermittlung von Jugendlichen in die Lehre habe sich bewährt, heißt es.

Die Zahl der Lehrverträge sank in Berlin allerdings um knapp sieben Prozent auf 11 674. Das liegt laut IHK an der sinkenden Zahl der Schulabgänger in Berlin – also an den Folgen der demografischen Entwicklung. Bundesweit gab es bis November einen Rückgang der Ausbildungsverträge um 9,6 Prozent, in den östlichen Bundesländern sogar um 14,1 Prozent. „Wir werden schneller als gedacht in die Situation kommen, dass gut vorgebildete Jugendliche sich ihre Ausbildungsplätze in der Region beliebig aussuchen können und ein begehrtes Fachkräftepotenzial darstellen“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder. Die Schulabgängerzahl in Berlin sinke seit 2008 jährlich um rund 1000. „Und dieser Trend wird mit Ausnahme des doppelten Abiturjahrgangs im Jahr 2012 noch einige Zeit anhalten.“

Vom demografischen Wandel dürften nicht zuletzt Bewerber mit Migrationshintergrund profitieren. Bislang werden sie bei der Jobsuche benachteiligt, wie jetzt eine Studie bestätigte – sogar bei gleicher Qualifikation. Zudem sind viele von ihnen schlechter ausgebildet als Deutsche. Bald jedoch haben Arbeitgeber vielleicht nicht mehr die Wahl. Dann könnte eine Qualität der Integration möglich werden, die bisher aus vielerlei Gründen gescheitert ist.

„Die deutsche Gesellschaft ist eine Arbeitsgesellschaft. Wer daran nicht beteiligt ist, wird negativ gesehen“, sagt Hilmi Kaya Turan, Arbeitsmarktexperte beim Türkischen Bund Berlin-Brandenburg. Von Integration möchte er nicht sprechen, eher von Beteiligung. Zielgrößen würden seiner Meinung nach helfen: „So wie im öffentlichen Dienst von Berlin, wo Jugendliche mit Migrationshintergrund 14,5 Prozent der Ausbildungsplätze einnehmen.“ Er sieht den demografischen Wandel als Chance: „Bald wird die Wirtschaft diese Kräfte brauchen. Dann werden sie nicht mehr als bloße Nutznießer des sozialen Systems wahrgenommen.“

Christoph von Knobelsdorff, IHK-Geschäftsführer für Aus- und Fortbildung, will schon in Schule und Kita ansetzen: „Unternehmen werden auch zukünftig niemanden ausbilden, der nicht ausbildungsreif von der Schule kommt.“ Das Problem mangelnder Ausbildungsreife gebe es seit Jahren; deshalb sei die Schulreform so wichtig. Das sei kein spezielles Migrantenthema, sondern ein Gesamtproblem bildungsferner Schichten.

Davon ist im BVG-Ausbildungszentrum nichts zu spüren, hier arbeiten hellwache junge Leute. So haben die angehenden Mechatroniker Monika Jeske und Eric Weißmann einen „Beamerlift“ für Projektoren gebaut. Geräuschlos wie in einem James-Bond-Film schiebt sich eine Deckenplatte auf Knopfdruck zur Seite, der Beamer fährt mit einem Mini-Aufzug heraus – und verschwindet später wieder diebstahlsicher hinter der Decke.

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