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Berliner Wirtschaft: Gutes Geschäft mit dem Schnupfen

Erkältungszeit ist für die 900 Berliner Apotheken die umsatzstärkste Zeit. Pharmahersteller sind aber nicht von der Saison abhängig

„Haatschi“ macht der Nebenmann in der U-Bahn - und schon springen die Viren und Bakterien über. „Die Zugfahrer sorgen zurzeit für volle Arztpraxen“, sagt der Allgemeinmediziner Frank Fechteler Charlottenburg-Wilmersdorfer. Und sie geben auch Pharma-Unternehmen und vor allem Apothekern gut zu tun. „Jetzt ist es nasskalt und der Winter weiß nicht so recht, was er will. Im ersten Quartal machen wir 50 Prozent unseres Jahresumsatzes an Erkältungsmitteln“, sagt Thomas Schiffer aus dem Vorstand von Doc Morris. Das im Internet als Versandapotheke gestartete Unternehmen hat inzwischen sechs Ableger in Berlin. Der Name wird nach dem Franchiseprinzip vergeben, das heißt in den unternehmerischen Entscheidungen sind die Filialleiter relativ frei.

Egal ob pflanzlich oder chemisch - Erkältungsmittel, Nasenspray, Hustensäfte in ihren bunten Verpackungen schmücken derzeit Schaufenster und Verkaufsräume der Berliner Apotheken. Auch beim Doc Morris-Konkurrenten, den Easy-Apotheken, werden damit die Hauptumsätze gemacht. Mit den Apotheken-Discounter haben die rund 900 traditionellen Apotheken, die bei der Berliner Industrie- und Handelskammer registriert sind, im vergangenen Jahr starke Konkurrenten bekommen. Vor kurzem eröffnete auch in Teltow auch die erste DocMorris-Apotheke Brandenburgs. „Die werden sich noch bemerkbar machen“, sagt Peter Sieloff, Inhaber der Potsdamer Apotheke in der Potsdamer Straße sicher. Ein paar Hundert Meter von seinem Geschäft entfernt hat gerade eine Easy-Apotheke eröffnet.

Im Februar wird der Konkurrenzkampf noch deutlicher werden, wenn das Geschäft noch stärker anzieht. Denn innerhalb des umsatzstarken ersten Quartals ist der Januar traditionell der schwächste Monat, sagt Alexander Irrgang, Inhaber der Easy-Filiale am Kudamm, einer von sechs in Berlin. Viele Kunden hätten oft im alten Jahr noch einen Vorrat an Medikamenten angehäuft. Andere wiederum müssten nach den Weihnachtstagen sparen. Er hofft auf den nächsten Monat: „Im Februar gibt es meist eine richtige Welle“, Erkältungskrankheiten würden sich dann häufen.

Doch selbst bei einer Erkältungswelle bricht in Berliner Apotheken keine Panik aus. „Ich mache mein Lager nicht voll. Der Großhandel beliefert mich drei bis vier Mal am Tag, was fehlt habe ich innerhalb von vier Stunden da“, sagt Rainer Bienfait, Inhaber der Otto-Apotheke in Moabit. Auch bei Medikamenten gegen den Norovirus, eine Magen-Darmkrankheit, die zurzeit in Berlin grassiert, gebe es keine Engpässe.

Nach wie vor mache der Anteil der rezeptpflichtigen Medikamente den Hauptumsatz aus, auch wenn der freiverkäufliche Bereich immer stärker zunehme, sagt Carolin Kopsch, Inhaberin einer Filiale der Apotheken-Discount-Kette Doc Morris in Spandau. Vergleichende Zahlen kann die Apothekerin jedoch nicht nennen. In ihrer Apotheke setzt sie auf homöopathische Mittel. Auch bei ihr „ zieht jetzt in der Erkältungszeit der Umsatz wie immer an“.

„Aber auch die Prävention hat zugenommen“, sagt Easy-Apotheken-Inhaber Irrgang. Er verkaufe zunehmend Mittel zur Nahrungsergänzung wie etwa Vitamin- oder Mineralienpräparate. Das sei eindeutig ein Trend, bestätigt Thomas Schiffer von Doc Morris: „Die Leute bezahlen mehr für ihre Gesundheit aus eigener Tasche.“ Dafür gebe es neben der Vorbeugung von Krankheiten noch einen zweiten Grund. Viele wollen sich die Praxisgebühr beim Arzt sparen. Deswegen therapierten sie sich selbst - was den Umsatz von rezeptfreien Medikamenten steigere. Davon wiederum profitieren die Discounter und auch die Hersteller.

In Berlin würden vor allem Generika hergestellt, heißt es bei der Industrie- und Handelskammer Berlin. Generika sind Arzneimittel, auf die kein Patent mehr besteht. So produziert zum Beispiel das Traditionsunternehmen „Klosterfrau“ in Marienfelde ihr bekanntestes Produkt, den „Melissengeist“aus hochkonzentrierten ätherischen Öle – Inbegriff des Hausmittelchens gegen Erkältung. Rund 200 Mitarbeiter stellen darüberhinaus ein breites Spektrum an Produkten her, darunter Lutschtabletten gegen Halsschmerzen und Erkältungsmittel. Auch wenn im Winter die Aufträge an das Berliner Werk größer werden, gibt es jedoch jetzt zur Erkältungshochzeit keine Engpässe. „Wir produzieren früh im Herbst vor“, sagt eine Mitarbeiterin.

Auch das Reinickendorfer Unternehmen „ct Arzneimittel“ stellt mit 200 Mitarbeitern Erkältungsmittel her. Dazu zählen die Marken Tussamag und Ambroxol. Zu den großen der Branche zählt vor allem das Unternehmen „Berlin-Chemie“, das vor allem mit Schmerzmitteln gegen Kopf- und Gliederschmerzen zum Geschäft mit Schnupfen, Husten, Heiserkeit beiträgt.

Doch nicht nur von diesen Saisonkrankeiten profitiert die Gesundheitsstadt Berlin: Die Gesundheitswirtschaft gehört offiziell zu einem von drei Kompetenzclustern, in die die Hauptstadt vor allem investieren will. „Die meisten Medikamente sind unabhängig von der Jahreszeit“, sagt ein Sprecher des Frankfurter Pharma-Unternehmens Sanofi Aventis, dessen Deutschlandvertrieb mit 1900 Arbeitsplätzen in Berlin ist. Ein weiteres großes Unternehmen kommt in diesem Jahr auf den Berliner Markt. Der amerikanische Pharmariese „Pfizer“ will seine Deutschlandzentrale von Karlsruhe nach Berlin verlegen.

Das Unternehmen ist für seine Viagra-Produktion bekannt – und sorgt so dafür, dass die Menschen sich noch näher kommen als in der U-Bahn: Gut für Viren und Bakterien – und gut für Erkältungsmittelhersteller.

Matthias Jekosch

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