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Lobbyismus: Die Politik-Flüsterer

Wer etwas erreichen will, muss in Berlin sein: Immer mehr Verbände ziehen in die Hauptstadt. Jetzt gibt es sogar einen Reiseführer zum Lobbyismus in der Berliner Republik.

Touristen mag es kaum auffallen, wenn sie über die Prachtmeile Unter den Linden flanieren. Doch Branchenkenner haben die Straße längst ironisch in „Unter den Lobbyisten“ umgetauft. Wer einmal genauer hinschaut, dem springen sie förmlich ins Auge: die vielen Klingelschilder der Unternehmen und Verbände rund um den Pariser Platz, in der Friedrichstraße, am Gendarmenmarkt, am Hausvogteiplatz und in der Reinhardtstraße nahe dem Reichstagsgebäude. Ob der Verband der Chemischen Industrie, der Deutsche Beamtenbund, Greenpeace, Bertelsmann, Volkswagen, die Tabaklobby, der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft oder das Deutsche Atomforum – sie alle haben sich in fußläufiger Nachbarschaft zum Parlament eingerichtet.

Mehr als 2000 Verbände sind beim Deutschen Bundestag freiwillig registriert. Eine Verpflichtung gibt es nicht. Für Heidi Klein von der Kölner Initiative Lobby Control ist das nur die Spitze des Eisbergs. Auf der Grundlage der beantragten Hausausweise schätzen Experten, dass 5000 Lobbyisten in den Büros der Parlamentarier und der Bundestagsverwaltung ein- und ausgehen. Denn zu den Verbänden gesellen sich Beratungsagenturen, Stiftungen, Umweltorganisationen, „Think-Tanks“ und Großunternehmen, die oft eigene Lobbyarbeit betreiben, weil sie sich von ihrem Verband nicht mehr adäquat vertreten fühlen.

Eine erste Welle an Verbänden sei mit dem Regierungsumzug 1999 an die Spree gekommen, sagt Christoph Lang von der Wirtschaftsförderung Berlin Partner. Noch im selben Jahr eröffneten damals zum Beispiel der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT), der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) ihren gemeinsamen Sitz im Haus der Wirtschaft an der Breiten Straße/Ecke Mühlendamm.

„Aber auch 2009 ist festzustellen, dass eine Reihe von Verbänden über einen Umzug nach Berlin nachdenkt“, sagt Lang. Jüngstes Beispiel: Der Verband der Automobilindustrie (VDA) will seine drei Standorte in Frankfurt am Main, Oberursel und dem Berliner Ortsteil Schmargendorf bald in der Stadt zusammenführen.

Mit einem Büro von fünf Mitarbeitern ist der VDA bereits seit 1999 in Berlin. Das neue Büro in der Nähe des Gendarmenmarkts soll laut Sprecher Andreas Kraus in den nächsten zehn Monaten bezogen werden. Derzeit sitzen in Oberursel 20 und in Frankfurt 60 Mitarbeiter. „Wir möchten uns auf einen Standort konzentrieren, Wege vereinfachen und interne Abläufe verbessern", erklärt Kraus. „Der zweite Punkt ist natürlich die Nähe zur Politik.“

Das Taschenbuch des Öffentlichen Lebens, besser bekannt als Oeckl, verzeichnet für Berlin aktuell rund 1200 angesiedelte Verbände – mehr als doppelt so viele wie noch vor sieben Jahren. Branchenkenner sagen, dass alle namhaften Vertretungen mittlerweile an die Politik in der Hauptstadt herangerückt sind. Für die Ansiedlung gibt es nach Auskunft der Senatswirtschaftsverwaltung keine Fördermittel. Doch Berlin Partner bemüht sich, den Weg zu ebnen, wie Christoph Lang erklärt: „Wenn jemand eine Repräsentanz aufmachen möchte, unterstützen wir ihn mit allen Service-Paketen.“ Das reiche von allgemeinen Informationen über Berlin bis hin zur Hilfe bei der Suche nach Personal und Räumen oder bei Kontakten zu Regierungsstellen und Dienstleistern. Bei der Ansiedlung des AOK-Bundesverbands, der seit 2008 an der Rosenthaler Straße residiert, half man den Lebenspartnern der Mitarbeiter, eine Anstellung in Berlin zu finden.

Allein mit dem Regierungsumzug kamen geschätzte 30.000 Arbeitsplätze hierher. Wie viel Personal sich hinter jedem Lobbyisten verbirgt, ist hingegen schwer zu beziffern. Hier reicht die Bandbreite vom einzelnen Rechtsanwalt, der Lobbytätigkeiten übernimmt, bis hin zur großen Agentur, die hunderte Mitarbeiter beschäftigt und bundesweite Kampagnen ausarbeitet – wie zum Beispiel die Agentur Fischer Appelt, verantwortlich für die Aktion „Du bist Deutschland“. Besonders aktiv ist die Lobby aus der Pharma- und Rüstungsindustrie und aus den Bereichen Finanzen und Energie. Eher schwach vertreten sind Menschenrechtsorganisationen sowie Verbände für Verbraucherinteressen.

Sein Engagement in Berlin möchte nun auch der Bundesverband Windenergie verstärken. Mit 20 000 Mitgliedern gehört er weltweit zu den größten Verbänden im Bereich erneuerbare Energien. Schon seit 2002 existiert neben der Bundesgeschäftsstelle in Osnabrück ein Hauptstadtbüro, das jetzt zum Hauptsitz wird. „Ab Mitte dieses Jahres wollen wir mit etwa 30 Mitarbeitern ausschließlich in der Mitte Berlins präsent sein“, sagt Sprecher Ulf Gerder.

Peter Grottian, Professor für Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der FU, beobachtet die Verbändewanderung mit großem Interesse. Die Strategie sei meist eine doppelte: Einerseits Sachkompetenz bei der Ausarbeitung von Gesetzen zur Verfügung stellen, andererseits Einfluss aus eigenem Interesse nehmen.

Licht ins Labyrinth der Verbände bringt seit kurzem ein Reiseführer der besonderen Art: der „Lobbyplanet“, herausgebracht vom Verein Lobby Control, der sich für mehr Transparenz und Demokratie einsetzt. Er beschreibt die wichtigsten Lobbyisten und verortet sie auf dem Stadtplan. Zudem plant der Verein erstmals Stadtführungen. „Viele Menschen empfinden das Thema Lobbyismus als etwas sehr Abstraktes. Mit dem Stadtführer schaffen wir eine Verbindung zum realen Leben“, erklärt Heidi Klein.

Experten prophezeien einen weiteren Zuzug von Lobbyisten – und das, obwohl immer mehr Gesetze bei der EU-Kommission in Brüssel entstehen. „Die Verlagerung verschiedener Politikbereiche nach Brüssel ist zwar stark“, sagt Grottian, „aber das Wichtigere wird nach wie vor in Berlin entschieden.“

Der „Lobbyplanet“ kann unter www.lobbyplanet-berlin.de bestellt werden. Führungen gibt es am kommenden Sonntag um 11 Uhr und am Mittwoch, 29. April, um 16 Uhr (Preis: zehn Euro). Anmeldung: stadtfuehrung@lobbycontrol.de.

Jörg Oberwittler

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