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Ein letzter „guter Rat“ von Dörte Elß: „Die Schwächsten schweben in besonderer Gefahr“
Nach 266 Folgen „Mein guter Rat“ blickt unsere Kolumnistin zurück auf besondere und persönliche Momente aus dreieinhalb Jahrzehnten in der Verbraucherzentrale Berlin. Ein Abschied

Stand:
In „Südkurier“ lässt Antoine de Saint-Exupéry seine Romanfigur Genoveva aus vergangener Zeit erzählen. Sie erinnert sich an „die Halle, in der sie als Kind gespielt hatte, die glänzenden Nussholzböden, die mächtigen Tische, die Jahrhunderte überdauern konnten, ohne zu altern und aus der Mode zu kommen“.
Die Sicherheit der Dauer – dafür stand für mich über drei Jahrzehnte lang die Verbraucherzentrale. 1989 hat mein Weg hier begonnen und nun nimmt mein Leben eine neue Wende. Es sind viele Erinnerungen, die ich mitnehme. Wer mich kennt, weiß, dass mir das Thema Pflege sehr am Herzen liegt.
Vor einigen Jahren setzten wir uns für eine Pflegeheimbewohnerin ein, die um ein neues Zimmer bat, das näher am Speisesaal liegen sollte. Aufgrund ihrer Gehbehinderung konnte sie diesen nämlich kaum noch erreichen. Nicht nur die Mahlzeiten wurden dort eingenommen, sondern es fanden auch Spielveranstaltungen statt, also ein großer Teil des sozialen Lebens in solch einer Einrichtung.
Das Zimmer wurde ihr auch tatsächlich zugesagt, aber für den doppelten Preis, obwohl es sich weder in Größe noch Einrichtung von ihrem alten unterschied. Wir konnten dann erwirken, dass sie das Zimmer zum gleichen Preis beziehen konnte. Auch heute hören wir von ähnlichen Fällen, wenn etwa sogenannte Komfortzimmer angeboten werden, die deutlich teurer sind als die Standardzimmer, aber lediglich einen zusätzlichen Kühlschrank oder Stuhl enthalten. Unter Komfort stelle ich mir etwas anderes vor.
Die Schwächsten schweben stets in besonderer Gefahr, übervorteilt zu werden.
Dörte Elß über dieLage auf dem „Pflegemarkt“
Der Pflegemarkt ist leider wirklich ein solcher geworden und die Schwächsten schweben stets in besonderer Gefahr, übervorteilt zu werden.
Mit der BahnCard 25 bis zum Europäischen Gerichtshof
In Erinnerung geblieben ist mir auch unsere Verbandsklage zur BahnCard 25. Wir bekamen Recht, dass für diesbezügliche Verträge, die über den Online-Shop der Bahn geschlossen wurden, das 14-tägige Widerrufsrecht gilt. Dafür bis zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) gehen zu müssen, war doch sehr kurios, da es sich nicht um ein Zugticket, sondern schlicht um eine Rabattkarte handelt.
Wie viele Menschen und Orte habe ich in all den Jahren kennengelernt, die nun für mich eng mit der Mission Verbraucherschutz verbunden sind. Mit einem ehemaligen Justizsenator fachsimpelte ich im Garten der Lichtenberger Kiezspinne über juristische Fragen und in Gatow lernte ich, wie man Menschen zu Big-Band-Klängen fürs Energiesparen begeistern kann. All das geht in der Hauptstadt!

© Doris Spiekermann-Klaas TSP/Doris Spiekermann-Klaas TSP
Berlin ist, wenn sich Hertha-Fans in der Spielpause über nachhaltige Ernährung informieren oder Abgeordnete mit mir durch Moabit-Ost streifen, um den Verbrauchersorgen auf die Spur zu kommen. Möglich ist es in Berlin aber leider auch, ein Auto für fünf Stunden zu mieten und anschließend eine Rechnung über 1100 Euro für nicht verursachte Schäden zu erhalten.
900 statt 300 Euro Energiekosten im Monat?
Für mich gehört so etwas natürlich zum Alltag, aber die Betroffene war erst einmal geschockt und sehr froh darüber, am Ende nichts davon zahlen zu müssen. Ebenso wie ein Verbraucher, der während der Energiekrise plötzlich 900 statt 300 Euro im Monat überweisen sollte, obwohl er einen Gasliefervertrag mit Preisgarantie abgeschlossen hatte. Mit seinem Einkommen wäre es ihm unmöglich gewesen, dieses Geld aufzubringen. Der Versorger konnte erfolgreich daran erinnert werden, dass auch eine Energiekrise nicht einfach alle vertraglichen Vereinbarungen außer Kraft setzt.
Genoveva aus dem „Südkurier“ machen ihre Erinnerungen nachdenklich: „Einst dauerten die Dinge länger als ich; ich war von ihnen aufgenommen und begleitet, ich war sicher, dass sie mich immer umgeben und bewachen würden – jetzt aber, jetzt werde ich länger dauern als die Dinge“, so resümiert sie.
Ich hoffe, dass diese Kolumne Sie ebenso wie mich ein Stück auf Ihrem Lebensweg begleitet hat und der eine oder andere nützliche Tipp für Sie dabei war. Glücklicherweise ist sie von Dauer und wird von meinem Nachfolger Markus Kamrad weitergeführt.
Ich wünsche mir, dass im Zuge der Berliner Sparmaßnahmen daran gedacht wird, wie wichtig es ist, den Menschen Leuchttürme und Wegweiser zu lassen, die ihnen Rat und Orientierung in turbulenten Zeiten bieten – eben die Sicherheit der Dauer.
Ich kenne so viele von ihnen, seien es kleine Berliner Initiativen, große Projekte oder eben auch die Verbraucherzentrale. In meinem Büro am ehemaligen Standort Zoologischer Garten habe ich so manches Mal Elefantenbulle Victor tröten hören, während ich in meinen Akten stöberte. Seine Stimme ist leider für immer verstummt. Meine eigene tut dies nun im Rahmen dieser Kolumne. Alles Gute für Sie und auf Wiedersehen.
Seit 2019 schrieb Dörte Elß jede Woche die Kolumne „Mein guter Rat“ (viele Folgen finden Sie hier). Zum April geht sie in den Ruhestand. Ihr Nachfolger Markus Kamrad wird sie als Kolumnist im Tagesspiegel ablösen.
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