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Berlin: Berlins Schokoladenseite

Wer zu Ostern Lust auf Pralinen mit Spargel oder Figuren mit Schmelz hat, findet inzwischen ein großes Angebot an exotischen Leckereien

Montezuma hätte Eberhard Pällers Arbeit gemocht. Denn der Aztekenführer, der bis zu seinem Lebensende etwa eine Milliarde Kakaobohnen in seinen Schatzkammern bunkerte, war ein Schokoladenfan. Eben wie Eberhard Päller. Der ließ sich wegen seiner Obsession vor einem halben Jahrhundert zum Konditor ausbilden.

Seit 35 Jahren verkauft der Berliner unter anderem seine eigenen Pralinen und Schokoladen in seiner winzigen „ Confiserie Melanie “ in Charlottenburg. Seine Schlemmereien schließen eigenwillige Kreationen wie Pralinen mit Koriander oder Spargel, mit Kümmel oder Sellerie ein. Auch Azteken und Maya experimentierten mit Geschmacksrichtungen, die heute eher unkonventionell sind. So waren die Ureinwohner Mittel- und Südamerikas ganz scharf auf Kakao-Chili-Mischungen.

Während Päller lange Zeit einer der wenigen mit dem Mut zum Ungewöhnlichen war, folgt seit neuestem eine neue Generation Schokoladenmacher seinem Beispiel. Jetzt vor Ostern läuft ihr Geschäft besonders gut. Ob nun in Kreuzberg, Prenzlauer Berg oder Mitte – die Zahl der kleinen Schokoladenläden steigt. Gut für alle, die dem positiven Effekt der Leckerei auf die Psyche verfallen sind: Sie wirkt stimmungsaufhellend. Der Verzehr von Schokolade regt die Ausschüttung des Botenstoffs Serotonin an – was die Laune hebt. Kein Wunder, dass die Verkaufszahlen von Schokolade steigen, wenn die Zeiten kein Zuckerschlecken sind. Wie Marktforscher herausgefunden haben, greifen Menschen in konjunkturschwachen Zeiten besonders häufig zu Tafeln und Pralinen.

Das hat auch Marina Pereira Monteiro beobachtet: „Die Leute haben im Moment vielleicht nicht viel Geld für Großes, aber dann gönnt man sich eben öfter ein richtig gutes Stück Schokolade.” Die gebürtige Brasilianerin betreibt zusammen mit ihrem Partner Jascha Kappelmeyer seit November 2001 das Schoko-Geschäft „Doçura“ in Friedenau. Im Dezember vorigen Jahres folgte die Filiale in Kreuzberg. Dort verkauft das Paar internationale süße Leckereien, darunter amerikanische Schokoriegel von Hershey, Schokoladenbonbons aus Brasilien, Chococonguitos aus Spanien, Ovomaltine-Schokolade aus der Schweiz. Das Konzept wurde aber nicht aus rein wirtschaftlichen Gründen, sondern aus persönlichen verwirklicht. Denn die Besitzer des Doçura waren ihrer alten Jobs überdrüssig – er war diplomierter Wirtschaftsjurist und sie Betriebswirtin fürs Hotelwesen. Marina Monteiro und Jascha Kappelmeyer beschlossen „in die Old Economy zurückzukehren” und den Leuten etwas zu verkaufen, was sie selber gerne mögen. „Jascha und ich sind schon immer viel gereist,” erklärt die 26-Jährige. „In jedem Land haben wir uns einen Spaß daraus gemacht, die landestypischen Süßigkeiten zu probieren.“ Zurück in Berlin merkten sie, dass es hier viele ausländische Leckereien nicht gab und richteten einen alten Tabakladen im Kolonialwarenladenstil ein. Eine Filiale folgte, die zweite kommt bald nach Zehlendorf. Auch Holger In’t Veld sehnte sich nach der Old Economy. „Ich wollte nicht mehr immer nur vor dem Computer hocken. Das war mir irgendwann zu virtuell”, sagt der Musikjournalist. „Ich will den Leuten etwas in die Hand drücken.” Und zwar Qualitäts-Tafelschokolade – seit Dezember vorigen Jahres in seinem Geschäft „In’t Veld“ in Prenzlauer Berg. Die Idee kam dem 35-Jährigen, als er vor anderthalb Jahren aus Hamburg nach Berlin kam. „Als Schoko-Süchtiger wurde mir schnell klar, dass es im Osten keine Schokoladen-Befriedigung für mich gab.” Also füllte eben er die Marktlücke. Das Motto: Hip sein. Theke, Kissen, Sitzecke sind kakaobraun gehalten, ein eigens designtes Regal stellt die Tafelschokoladen zur Schau, hinten hängen beigefarbene T-Shirts aus einer eigenen Kollektion, elektronische Musik dringt aus den Lautsprechern. Auch bei den Schokoladentafeln dominieren neben der konservativen französischen Bonnat eher Trend-Marken: Zotter, die mit einem modernen Design und skurrilen Geschmacksrichtungen wie Bier, Schweinespeck und Essig überrascht oder Cowgirl, die viel Cayennepfeffer enthält. Der Schoko-Dealer hat auch an die Schoko-Abhängigen gedacht: „Für die, die einen Tick außerhalb der Öffnungszeiten kriegen, habe ich draußen einen Automaten angebracht“, sagt er. „Schokolade ist eine sympathische, legale Droge.”

Abhängig ist Theo Vermeulen von Schleckereien zwar nicht, aber dafür durch und durch ein Geschäftsmann. Seit August 2002 verkauft der gebürtige Holländer Schokolade und Eis gegenüber dem Bahnhof Friedrichstraße. „Ich musste mich nach etwas Neuem umgucken,” erzählt der ehemalige Immobilienmakler. „Dabei bin ich auf das Angebot von Australian Homemade gestoßen, deren Produkte zu verkaufen.“ Nachdem Vermeulen Zahlen und Marktwerte gesehen hatte, entschied er sich für das Konzept der Firma. Dabei ist der Bezug auf down under quasi nur ein Werbegag. „Man denkt bei Australien an Lebensfreude, Sonne und Strand,“ verrät der 52-Jährige. Das lockt die Kunden. Tatsächlich kommt die handgemachte Schokolade aus Amsterdam. Die Tafeln mit den Aborigines-Symbolen liegen in einem futuristischen Laden, der mit silbernen Kühlschränken, blau und orange beleuchteten Glasfliesen und einer Videofläche ausgestattet ist. Eis gibt’s hier auch. Der Geschäftsmann hat sich mittlerweile mit seinem neuen Job angefreundet. Es mache ihm Spaß hinter dem Tresen zu stehen. „Die Kunden sind durchweg gut drauf .” Ob das vielleicht am gesteigerten Serotoninspiegel liegt?

Esther Kurz teilt Vermeulens Erfahrungen mit der gut gelaunten Kundschaft. Seit Ende vorigen Jahres gehört ihr „Estrellas Chocolaterie“ in Schöneberg. Zu ihr kommen die Anwohner, wenn sie dunkle handgefertigte Pralinen haben möchten. Die bekommt die 34-Jährige aus Frankreich oder macht sie selber. „Ich habe vor drei Jahren ein schönes Schokoladen-Geschäft in London gesehen – das war meine Inspiration, um das süße Handwerk zu erlernen,“ erklärt die zierliche Frau. „Als ich dann vor einiger Zeit arbeitslos wurde, gab mir der Film Chocolat den Mut, es mit einem eigenen Laden zu probieren.“ Und wie Hauptfigur Vianne Rocher (gespielt von Juliette Binoche) fühlt sich Estralla darin bestärkt, selber ein bisschen Schokohexe zu spielen: Sie bietet eigenhändig gegossene antike Formen und Figuren an – und intensivst schmeckende Trinkschokolade. Davon hätte sich wohl auch Montezuma bezaubern lassen, ebenso wie von der Teepraline auf salziger Butterkaramel samt tibetischem Liebesgedicht.

Confiserie Melanie, Goethestraße 4, Charlottenburg, Tel.: 313 83 30, Mo, Di, Mi + Fr 10-19 Uhr, Sa 10-14 Uhr; Doçura, Varziner Straße 4, Friedenau, Tel.: 85 40 72 99 und Zossener Straße 20, Kreuzberg, Tel.: 81 79 73 99, www.docura-berlin.de , Mo-Fr 10-19 Uhr, Sa 10-14 Uhr; In’t veld, Dunckerstraße 10, Prenzlauer Berg, Tel.: 48 62 34 23, www.intveld.de ; Australian Homemade, Friedrichstraße 96, Mitte, Tel.: 20 96 23 23, tgl. 8-20 Uhr, Fr+Sa bis 22 Uhr; Estrellas Chocolaterie, Akazienstraße 21, Schöneberg, Tel.: 78 95 66 46, Mo-Fr 10-19 Uhr, Sa 10-14 Uhr .

Wiebke Heiss

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