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Berlin: Berufsschulen bekommen bald Lehrer ohne Fachausbildung

Direktoren und Verbände warnen vor sinkender Qualität der AusbildungVON KATHRIN SPOERR BERLIN. Lehrer von Gymnasien, Haupt- und Realschulen sollen nach dem Willen des Senats künftig an Berufs- und Sonderschulen Fächer unterrichten, für die sie nicht ausgebildet sind.

Direktoren und Verbände warnen vor sinkender Qualität der AusbildungVON KATHRIN SPOERR BERLIN. Lehrer von Gymnasien, Haupt- und Realschulen sollen nach dem Willen des Senats künftig an Berufs- und Sonderschulen Fächer unterrichten, für die sie nicht ausgebildet sind.Das steht in der "Vereinbarung zur Beschäftigungssicherung", auf die sich Lehrerverbände und Senatsschulverwaltung geeinigt haben.So will die Schulverwaltung den Lehrermangel an Berufs- und Sonderschulen beseitigen, ohne neue, für diese Fächer ausgebildete Lehrer einstellen zu müssen. "Die Senatorin hat der Gewerkschaft ein Geschenk gemacht", sagt Direktor Klaus Gehrmann vom Oberstufenzentrum Banken und Versicherungen.Dafür müßten ganze Absolventenjahrgänge büßen, die nach der Ausbildung in die Arbeitslosigkeit entlassen würden. Vom kommenden Schuljahr an werden also an Berlins Berufsschulen künftige Versicherungskaufleute beispielsweise von Geschichtslehrern in Versicherungskunde unterrichtet.Deutschlehrer könnten Malerlehrlingen erklären, wie ein Außenanstrich angerührt wird.Was den Fachwechslern an Ausbildung fehlt, sollen sie nachholen - neben ihrem Unterricht.Ein halbes Jahr lang erhalten sie dafür wöchentlich bis zu elf Freistunden. Die Schulverwaltung muß bis zum Jahr 1999 mehr als 3000 Lehrerstellen einsparen - so lange sind Neueinstellungen die Ausnahme.Deswegen mußte auch Gehrmanns Oberstufenzentrum in Tiergarten, eine Berufsschule für Kaufleute, in diesem Jahr seinen besten Referendar verabschieden, obwohl Gehrmann ihn dringend gebraucht hätte.Denn noch in diesem Jahr werden sechs Lehrer der Berufsschule pensioniert.Wenn die Einstellungssperre ende, werde ein Fünftel der Lehrer von heute Rentner sein, rechnet Gehrmann vor.Dennoch hat er kaum Chancen, einen ausgebildeten Handelslehrer zu bekommen.Denn für jeden Lehrer, der trotz der Sperre eingestellt wird, ist ein einstimmiger Senatsbeschluß nötig, und nur in "begründeten Ausnahmen" will sich Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) dafür einsetzen. Die Ursache für den Lehrermangel auf der einen und den Überschuß auf der anderen Seite liegt in der jüngeren Vergangenheit: 1990 wurden alle Ost-Berliner Lehrer übernommen, obwohl die Schulen nach westdeutschen Maßstäben überbesetzt waren.Seit vergangenem Jahr sind durch die Sparauflagen Klassen größer geworden - wieder sitzen Hunderte Lehrer im Wartesaal, denn Bedarfskündigungen wird es nicht geben. Der Chef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Erhard Laube, verteidigt die Vereinbarung."Wir verlagern Personal von der Überschuß- an die Mangelstelle." Es sei "völlig normal", daß Lehrer auch Fächer unterrichteten, für die sie nicht ausgebildet seien. "Die fachfremden Kollegen sind für die Arbeit ungeeignet", entgegnet Roswita Mätzig-Wurm, stellvertretende Vorsitzende des Verbands der Lehrer an Wirtschaftsschulen (VLW).Die halbjährige Umschulzeit könne nicht ein Handelslehrerstudium oder eine kaufmännische oder handwerkliche Lehre ersetzen, die Lehrer an Berufsschulen normalerweise vorweisen können."Ein Auszubildender im zweiten Lehrjahr steckt einen ungenügend qualifizierten Lehrer ohne weiteres in die Tasche." Die Schulverwaltung beschwichtigt.Die Furcht vor fachlich unqualifizierten Kollegen werde durch die Praxis widerlegt, sagt Pressesprecherin Rita Herrmanns.Der ordentliche Verlauf des Unterrichts werde trotz Sparpflicht nicht gefährdet.Die Berufsschullehrer protestieren, doch haben sie die Vereinbarung mit unterschrieben."Ein Fehler", räumt Gehrmann ein."Frau Stahmer hatte uns einen Einstellungskorridor versprochen - davon weiß sie nichts mehr."STICHWORT In Zukunft werden Schüler von Lehrern unterrichtet, denen der Stoff, den sie vermitteln, weitgehend fremd ist: Turnlehrer geben Chemie, Geschichtslehrer Physik.Und die Grundschullehrerin muß fast erwachsene Lehrlinge zu Malern ausbilden.Wenn jeder alles kann, was soll dann die aufwendige Fachausbildung? Und was können Schüler bei diesen Lehrern lernen? Sie werden Opfer einer Politik, die lieber Fehler macht, als einen Konflikt zu wagen.Hauptsache, die Sparbeschlüsse sind erfüllt und die Gewerkschaften machen mit.Die Sparbeschlüsse des Senats und die Beschäftigungsvereinbarung vom März machten alles nur noch schlimmer, weil der Bedarf nun gar keine Rolle mehr spielt.Wegen dieser Politik entstanden in Berlin Lehrerüberschuß und Lehrermangel zugleich.Ein Fehler soll hier einen anderen korrigieren.Aus einem Mißstand könnte so eine Misere werden.Der Berliner Senat spielt Domino.sp

KATHRIN SPOERR

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