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Berlin: Besucht Wedding!

Hier ist es nicht trendy, aber man bemüht sich drum. Eine Entdeckungstour

Von Henning Kraudzun

Den Wedding aus der Ferne genießen. Das kann man wunderbar vom Mauerpark aus, mit Blick auf das angrenzende Häusermeer. Oder von einem Dach am Mauerstreifen in Richtung Norden schauend, wo ein paar Straßen weiter schon grelle Leuchtreklamen hervorlugen. Bloß nicht hineingehen, in den Kiez der Pferdewetten, Billig-Schilder und Möchtegern-Gangster.

Trotzdem wäre ein Abend im Wedding etwas Neues, Aufregendes. Aber gibt es in der Tiefebene angesagte Bars, die einen Besuch lohnen? Wo der goldkettenbehangene Proll noch mit dem Ökologie-Studenten feiern kann? Besser, man tastet sich langsam an den abenteuerlichen Norden heran, idealerweise aus der Ferne. So geisterte zuletzt der einer ominösen „Wedding-Bar“ durch die E-Mail-Verteiler. Mit derselben Adresse wie die frühere Galerie Expo 3000 in Friedrichshain, wo die Vernissagen so lange gingen, bis im Morgengrauen tatsächlich über Kunst gelallt wurde. Zeit für einen Besuch in dieser Exklave.

Stilecht sieht sie ja aus, die „Wedding- Bar“, mit ihren Zeitungscollagen an den Wänden und einer Diashow der schönsten, hässlichen Ecken des Nordbezirks.

Schultheiss und Kindl, die Weddinger Lokalgebräue, werden auf dem Tablett serviert, in klassisch dickbauchigen Flaschen. Ein Bier kostet einen Euro. Musik von Manuela plärrt aus den Boxen, jenem verstorbenen Schlagerstar, der einst aus dem Wedding kam. Letztendlich stehen Spunk Seibel und Nikola Sustr, die beiden Betreiber der Bar, in Unterhemd und Jogginghose hinterm Tresen. Weddinger Freizeitlook eben.

„So stellen wir uns dort eine Kultkneipe vor“, sagt Seibel, Ex-Galerist der Expo 3000. Ihre Bar sei eine versteckte Liebeserklärung an den Wedding, wo es sich angenehm und billig leben lasse. Sein Mitstreiter ist schließlich dort aufgewachsen, und auch Seibel hat jahrlang im Soldiner Kiez gelebt, bis Friedrichshain für ihn interessant wurde. „Aber hier fehlt mir nachts das Leben auf der Straße und das Multikulturelle“, sagt er. Leider war ihre Kultkneipe nur ein kurzes Experiment, der Mietvertrag läuft aus. Jetzt hat Seibel für ein paar Monate die Koffer gepackt.

Nur ein paar Clicks in den E-Mail-Listen entfernt, findet man doch noch eine Kulturenklave im Wedding selbst, das „Holz + Farbe“. Begonnen hatte es damals mit einem Ausweichquartier für den „Mittwochsclub“, einer halblegalen Party-Location in Prenzlauer Berg. Dieser quartierte sich vorübergehend in der Prinzenallee ein. Doch ein Teil des Betreiberkollektivs blieb im Wedding. Nur mit einer Nutzungsvereinbarung in der Tasche wurden ein paar Feiern organisiert, DJ’s legten auf, Künstler stellten aus. Inzwischen ist das „Holz + Farbe“ dort nicht mehr wegzudenken.

Mit Zuschüssen vom Senat konnte sich der Club bis heute an der Prinzenallee halten. Das Programm ist noch immer offen: Das „Holz + Farbe“ bietet zumeist Low-Budget-Kultur für einen Euro Eintritt.

Neben Filmabenden werden hier Klischees zu Partys verwurstet, zuweilen spielt eine Garagenband. „Alles liebevoll, aber auch ein wenig abgefuckt“, beschreibt Heiko Schmidt das Ambiente seiner Feiern im Kellerclub.

Zuerst kamen vor allem Bekannte aus Prenzlauer Berg herüber, jetzt schauen hier die Leute aus der Nachbarschaft vorbei. Und im ersten Moment fragten sie immer: „Ey Alter, is’ hier Disco oder was?“ Dieses Publikum ist mittlerweile froh über den Schlupfwinkel im Wedding: „Hier ist es nicht überlaufen und hip“, sagt Björn, der mit der U-Bahn aus Mitte gekommen ist. „Außerdem muss man hier keine trendy Klamotten tragen.“ Auch die verwinkelten Räume sehen nicht trendy aus. Alles, was augenscheinlich bei Entrümpelungen vergessen wurde, steht hier in den Ecken, sei es eine verrostete Hollywood-Schaukel, verstaubte Kommoden oder alte Couchs. Dazwischen hängen skurrile Ölschinken an der Wand, strahlen Diaprojektoren in den Raum oder schlängeln sich Lichterketten an der Decke entlang.

„Nachts geht die Angst im Wedding mit“ – das seien doch alles üble Klischees der Presse, sagt die Freundin von Schmidt, Nelly Knoth. Zusammen wohnen sie seit ein paar Jahren über dem „Holz + Farbe“. „Man musste hier wieder einen kulturellen Grundstein legen“, ergänzt Schmidt. Er will was bewegen – wie viele junge Kreative, die in letzter Zeit hergezogen sind. Ein kulturelles Netzwerk entsteht, das den Wedding bald wieder aus der Nähe genießen lässt.

Informationen im Internet:

www.holzundfarbe.de

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