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Immer wieder kommt es in Berlin zu schweren Verkehrsunfällen – auch mit Kindern.

© Foto: dpa/Fabian Sommer

„Mädchen stieß auf Zebrastreifen mit Auto zusammen“: Wie Polizeimeldungen Unfälle verharmlosen – ein Beispiel aus Berlin-Mahlsdorf

Ein siebenjähriges Mädchen wird von einem Auto angefahren. Die Polizei veröffentlicht dazu eine einseitige Meldung.

Von Johanna Treblin

Viel ist schon über Polizeimeldungen und Unfälle geschrieben worden. Und doch gibt es immer wieder Polizeimeldungen, die den Kopf schütteln lassen. Wie diese vom Samstag. Offenbar wurde ein Mädchen von einem Autofahrer angefahren. Ein tragischer Vorfall. Was schreibt die Polizei?

„Bei einem Verkehrsunfall gestern Abend in Mahlsdorf erlitt ein kleines Mädchen schwere Kopfverletzungen.“ Ein Satz, der harmlos klingt - so harmlos, als habe es keine weiteren Beteiligten gegeben. Einen Akteur, der dem Mädchen die Verletzungen zugefügt hat, gibt es jedenfalls in diesem Satz nicht. Und doch war wohl ein Autofahrer in den Vorfall involviert, wie im folgenden zu lesen ist.

Weiter heißt es nämlich in der Meldung: „Nach bisherigen Erkenntnissen versuchte die Siebenjährige gegen 20.30 Uhr einen Fußgängerüberweg auf der Hönower Straße zu überqueren.“ Soweit, so verständlich. Man bemerke das Wort „Fußgängerüberweg“. Autos haben an Fußgängerüberwegen, auch Zebrastreifen genannt, die Geschwindigkeit zu drosseln, und zwar so, dass sie anhalten können, wenn jemand am Zebrastreifen die Straße überquert. Das lernt man in der Fahrschule.

Dazu wählte sie einen Zeitpunkt zwischen zwei fahrenden Autos, so dass sie und der zweite nachfolgende Wagen zusammenstießen.

Polizeimeldung

Die Polizei schreibt nun: „Dazu wählte sie einen Zeitpunkt zwischen zwei fahrenden Autos, so dass sie und der zweite nachfolgende Wagen zusammenstießen.“ Dieser Satz ist in mindestens dreierlei Hinsicht heftig problematisch. Erstens impliziert er eine logische Folge: Der Zeitpunkt, den das Mädchen gewählt hat, müsse geradezu dazu führen („so dass“), dass das Auto sie erwischt.

Das ist natürlich Quatsch. Der Meldung ist nicht zu entnehmen, dass das Kind plötzlich auf die Straße sprang, vielleicht sogar zwischen parkenden Autos hervor und daher zuvor nicht von dem Autofahrer gesehen worden sein konnte. Und selbst wenn, wäre auch dann ein Zusammenstoß nicht zwangsläufig.

Zweitens tut die Polizei mit diesem Satz so, als sei es ungewöhnlich, beim Überqueren einer Straße am Zebrastreifen den „Zeitpunkt zwischen zwei fahrenden Autos“ zu wählen. Aber wie soll man denn sonst einen Zebrastreifen überqueren, wenn nicht zwischen fahrenden Autos – die ja langsamer werden und anhalten müssen? Dafür sind Zebrastreifen schließlich da - dass Fußgänger:innen dort explizit die Straße überqueren, gerade, wenn es viel Autoverkehr gibt.

Drittens klingt das Wort „zusammenstoßen“ so, als handele es sich hier um zwei gleichwertige „Gegner“. Stattdessen fährt ein Mann in einer mindestens eine Tonne wiegenden Maschine auf der Straße, missachtet die Verkehrsregeln und rammt dabei ein Mädchen von etwa 30 Kilogramm an, das weder einen Metallkasten noch einen Airbag um sich herum zum Schutz trägt und wahrscheinlich keine fünf Stundenkilometer langsam unterwegs war.

Es ging wenig überraschend aus: Das Mädchen wurde „zu Boden geschleudert“ und stieß mit dem Kopf gegen den Bordstein. Alarmierte Rettungskräfte brachten es mit schweren Verletzungen zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus. Eine Atemalkoholmessung bei dem 27-jährigen Autofahrer ergab einen Wert von null Promille.

Es ist nicht die einzige Polizeimeldung, bei der man sich fragt, ob die Polizei Partei ergreift: für Autofahrer:innen. Viele Polizeimeldungen zu Unfällen klingen, „als wären sie aus der Perspektive des verständnisvollen Beifahrers geschrieben, der den Fahrern bescheinigte, trotz perfekter Reaktion keine Chance gegen die Unaufmerksamkeit der Fußgänger zu haben – die wegen ihrer schweren Verletzungen ohnehin selten befragt werden konnten“, schrieb Stefan Jacobos hier im Tagesspiegel bereits vor über zwei Jahren.

Manche Meldungen machen den Anschein, als berücksichtigten die Verfasser:innen die Kritik, die beispielsweise der Fachverband FUSS e.V. bereits seit Längerem äußert. Viele aber auch nicht. Und weil einige Medien die Polizeimeldungen nahezu unverändert weiterverbreiten, haben sich Formulierungen wie „konnte nicht mehr bremsen“ oder „hat touchiert“ verfestigt.

Immer dienstags erscheint der Tagesspiegel-Newsletter für Marzahn-Hellersdorf. Den gibt es in voller Länge, einmal pro Woche mit vielen konkreten Bezirksnews, Tipps, Terminen unter tagesspiegel.de/bezirke. Und diesmal berichtet Johanna Treblin unter anderem über diese Themen:

  • Ein Community-Zentrum für queere Menschen aus der Ukraine
  • Neuer Berliner Stadtbezirk oder: Die Ost-Erweiterung von Marzahn
  • Afd-Stadtrat wieder nicht gewählt
  • Kyrillische Schriftzeichen an Bäumen im Schlosspark Biesdorf mit historischer Relevanz
  • Vortrag „Josep Renau in Hellersdorf“
  • Gedenkstein zur Erinnerung an Soldatenfriedhof seit Monaten beschmiert
  • Stellen für Radwegplanung immer noch unbesetzt
  • Informationsschilder am Bahnhof Springpfuhl
  • Nicht nur Köpfe: Ausstellung mit Werken Rüdiger Roehls in der Pyramide

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