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Susan Hermenau an ihrem Schreibtisch.

© Ulrike Scheffer

Flüchtlinge in Berlin-Pankow: Blumen und andere Botschaften

In der Mühlenstraßen leben seit einem Jahr bis zu 250 Flüchtlinge. Die Leiterin der Unterkunft, Susan Hermenau, erhält viel Unterstützung aus dem Kiez. Widerstand gegen die neuen Nachbarn gab es dagegen kaum.

Susan Hermenau räumt noch rasch den kleinen quadratischen Besuchertisch etwas frei, bevor sie sich hinsetzt. Vor allem die Glasvase mit den beiden langstieligen roten Rosen verstellen den Blick. Die Rosen sind noch in Cellophan verpackt, eigentlich ungewöhnlich. "Die hat mir ein Bewohner geschenkt," erklärt die blonde junge Frau. Und führt schnell hinzu: "Es ist aber nicht so, wie es aussieht." Soll heißen, die Rosen sind keine Liebeserklärung. Der Mann, der sie gekauft hat, wusste möglicherweise nicht, welche Bedeutung rote Rosen in Deutschland haben. Und damit ist Susan Hermenau schon mitten im Thema, in ihrem Thema.

250 Flüchtlinge mitten im Zentrum

Die 33-Jährige leitet das Flüchtlingswohnheim in der Mühlenstraße. Seit einem Jahr leben hier mehr als 200 Asylsuchende, nach einer Erweiterung sind es nun sogar 250, darunter 80 Minderjährige. Die meisten stammen aus Syrien, Afghanistan oder vom Balkan und sind erst vor wenigen Monaten in Deutschland angekommen. Viele sind schwer traumatisiert, alle fühlen sich fremd in Deutschland. Es ist nicht einfach für sie, sich im Alltag zurecht zu finden, die Kinder in der Schule oder in der Kita, die Eltern im Behördendschungel. So vieles ist anders als in Ihren Heimatländern, nicht nur die Blumen-Botschaften. Und deshalb muss Susan Hermenau immer wieder vermitteln, erklären, um Vertrauen werben. "Schon eine Kita ist für viele neu, weil sie es gewohnt sind, dass Kleinkinder in der Familie betreut werden", erklärt Hermenau. "Es kostet dann Überwindung, die Kleinen fremden Frauen anzuvertrauen. Noch dazu in einem völlig fremden Land mit einer fremden Kultur."

250 Flüchtlinge leben derzeit in der Unterkunft in der Mühlenstraße.
250 Flüchtlinge leben derzeit in der Unterkunft in der Mühlenstraße.

© Ulrike Scheffer

Susan Hermenau und ihre Kollegen müssen Überzeugungsarbeit leisten. Ein Amethyst und ein großer Lapislazuli-Stein liegen auf Hermenaus Tisch bereit, um von aufgeregten Händen bearbeitet zu werden. Und auch eine Taschentuchbox. Doch hier stehen eben auch viele kleine Vasen mit Blümchen, an den Wänden hängen selbstgemalte Bilder von Bewohnen und ein persischer Vers. Alles Geschenke. "Die meisten unserer Bewohner sind sehr dankbar, dass sie hier sein dürfen. Manche schämen sich aber auch dafür, dass sie Hilfe in Anspruch nehmen müssen." Gerade unter den Bürgerkriegsflüchtlingen seien viele, die in ihren Heimatländern durchaus wohlhabend gewesen seien, erklärt die Heimleiterin. Der soziale Abstieg sei für sie schwer zu ertragen. "Deshalb ist es so wichtig, dass wir hier respektvoll miteinander umgehen, uns auf Augenhöhe begegnen. Unser wichtigster Grundsatz lautet: Jeder ist gleich."

Bilder statt Vorurteile

Das hört sich an wie eine Binsenweisheit, doch für die studierte Soziologin steckt dahinter die Erkenntnis, dass tatsächlich jeder verschieden ist, ein eigenständiges Individuum. Und gerade das gelte es zu respektieren, sagt Hermenau, die nun bei ihrem eigentlichen Thema angelangt ist: bei den Bildern, die Menschen sich voneinander machen, bei dem, was sie aufeinander projizieren. Man könnte auch von Vorurteilen sprechen, aber Susan Hermenau mag Begriffe wie diesen nicht. "Ich kann schon das Wort Flüchtlinge nicht hören, denn es gibt ja nicht die Flüchtlinge. Das ist keine homogene Gruppe."

Schwieriger Perspektivwechsel

Hermenau selbst war früher in der Entwicklungszusammenarbeit tätig und weiß, wie es ist, Ausländer zu sein. In Bolivien organisierte sie Workshops, um Frauen eines Hochlandvolkes auf die Teilnahme an Nachbarschaftsräten vorzubereiten. "Da kommt man mit seinen Wahrheiten hin und muss zunächst lernen, sich auf die Sichtweise der Menschen dort einzulassen, auf ihre Geschichte und ihre Erfahrungen", erklärt sie. Sonst gelinge der Perspektivwechsel nicht. "Wir gehen ja immer ganz selbstverständlich davon aus, dass wir die Guten sind. Aber das denken andere von sich eben auch."

Kein Mangel an Unterstützung

Im Umfeld der Mühle, wie Bewohner und Betreuer das Heim in der Mühlenstraße nennen, gibt es viele, die bereit sind, sich einzulassen auf ihre neuen Nachbarn. Ihre Mailbox sei voll mit Unterstützungsangeboten, sagt Hermenau. Widerstand gegen das Heim gebe es dagegen kaum. Drei-, viermal seien ein paar Nazis aufgetaucht, doch die seien auch schnell wieder verschwunden. "Die haben hier keine Anhänger", glaubt Hermenau. Das Wohnheim liege in einer bürgerlichen Gegend, in der die meisten ihr Auskommen hätten und sich durch die Flüchtlinge nicht bedroht fühlten. "Natürlich gab es auch Ängste, dass es lauter wird im Viertel zum Beispiel, aber seit wir eröffnet haben, hat sich das beruhigt."

Nicht jede Hilfe stößt auf Begeisterung

Doch Bilder gibt es auf beiden Seiten. Bei den Flüchtlingen kommen meist Unsicherheit und Ängste hinzu. Nicht immer sind sie daher offen für die gut gemeinte Hilfe ihrer Nachbarn. Als jemand zum Beispiel spontan anbot, Bewohner der Mühle zu einem Ausflug einzuladen, löste das nicht gerade Begeisterung aus. "Die Menschen kommen teilweise direkt aus dem Bürgerkrieg, da setzt man sich nicht einfach zu Fremden ins Auto und fährt mit ihm in einer unbekannten Gegend herum", erklärt Susan Hermenau. Gut funktionierten vor allem kontinuierliche Angebote, wie das Flüchtlingscafe in der Florastraße, wo sich Anwohner und Flüchtlinge unverbindlich treffen und kennenlernen könnten. "Wenn dann erst einmal Vertrauen da ist, kann das Zusammenleben für alle eine Bereicherung sein."

Dieser Text erscheint im Pankow-Blog des Tagesspiegels.

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