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Sie wünscht sich wieder regelmäßigen Klavierunterricht an der Musikschule: Aline beim Üben am Steinway

© privat

Verwaltungschaos an Musikschule Steglitz-Zehlendorf: Sie möchte einfach nur Klavier spielen

Eigentlich wollte Familie Junker wegen eines Auslandsaufenthalts den Klavierunterricht ihrer Tochter an der Leo-Borchard-Musikschule nur wenige Monate aussetzen. Die bürokratischen Irrtümer, den diese Anfrage per Email auslöste, liest sich wie ein Gruß aus Absurdistan.

Ihr Lächeln wirkt unsicher. Aline weiß nicht genau, ob sie sich nun freuen kann. Zwar durfte die 15-Jährige am letzten Freitag wieder zum Klavierunterricht in die Leo-Borchard-Musikschule Steglitz-Zehlendorf gehen, hatte dabei aber ein ungutes Gefühl. Denn der Unterricht fand nur dank einer einstweiligen Verfügung vom Amtsgericht Schöneberg statt. „Danach ist die Musikschule verpflichtet, meiner Tochter vorläufig Klavier-Einzelunterricht zu gewähren, wie im ursprünglichen Vertrag festgelegt“, erklärt Susanne Junker, Alines Mutter. Diesem Beschluss voraus gehen zwei Vertragskündigungen seitens der Musikschule, die Susanne Junker für rechtswidrig hält und deshalb einen Antrag auf Rechtsschutz beim Amtsgericht Schöneberg gestellt hatte.

„Während der ganzen Zeit, in der wir mit dem Schriftkram beschäftigt waren, hätte ich lieber ein schönes Musikstück lernen können“, sagt Aline entnervt. Denn das Hin und Her mit ihrem Unterrichtsvertrag dauert fast ein Jahr. In dieser Zeit gab es viele Tränen bei der jungen Frau. Frustration, Irritationen und ein beispielloses Verwaltungschaos, findet die Mutter und sieht die Gründe vor allem in dem akuten Personalmangel der bezirklichen Musikschule.

Idyllisch gelegen: Die Musikschule (Geschäftsstelle) in der Martin-Buber-Straße in Zehlendorf
Idyllisch gelegen: Die Musikschule (Geschäftsstelle) in der Martin-Buber-Straße in Zehlendorf

© Anett Kirchner

Angefangen habe alles im Juli letzten Jahres mit einer Anfrage per E-Mail, ob es möglich sei, den Vertrag für den Unterricht der Tochter von Januar bis April 2015 aussetzen zu lassen. Aline plante für die Zeit einen Auslandsaufenthalt. Keine Antwort – für fast vier Wochen. „Mehrfach habe ich versucht, die Musikschule zu den Sprechzeiten zu erreichen, aber ohne Erfolg“, erzählt die berufstätige Mutter. Auch die Möglichkeit eine Nachricht oder eine Rückrufbitte zu hinterlassen, habe es nicht gegeben.

Schließlich meldete sich irgendwann doch jemand von der Musikschule mit der Nachricht, dass eine Aussetzung des Vertrages nicht möglich sei, weil es das Computerprogramm nicht hergäbe. Der Vertrag könne lediglich außerordentlich zum 31. Dezember 2014 gekündigt werden und sie müsse sich dann zum 1. April 2015 neu anmelden.  

„Umständlich, aber meinetwegen“, habe sich Susanne Junker gesagt. Da war sie noch entspannt. Kurze Zeit später begann für sie eine Odyssee durch den Verwaltungsozean der Musikschule und des Bezirksamtes. Es folgten unter anderem: Eine Kündigung der Musikschule zur falschen Zeit, ein entsprechender Widerspruch der Mutter, ein Neuvertrag ohne Unterschriften, Zahlungsaufforderungen, obwohl gezahlt wurde, irrtümliche Rückzahlungen, Mahnungen…

Aline, 15 Jahre alt, ist seit 2008 Musikschülerin an der Leo-Borchard-Musikschule
Aline, 15 Jahre alt, ist seit 2008 Musikschülerin an der Leo-Borchard-Musikschule

© privat

„Statt normalen Klavierunterricht zu machen, diskutierten wir, ob wir einen Vertrag haben oder nicht und ob oder warum ich angeblich nicht dafür bezahlen würde, trotz Dauerauftrag“, erinnert sich Junker.

Das endete schließlich in zwei fristlosen Kündigungen der Musikschule. Begründung: Susanne Junker verhalte sich nicht vertragsgemäß, weil sie den Klavierunterricht der Tochter besuche – zu dieser Zeit war Aline im Ausland. Die Mutter suchte erneut den Kontakt zum Bezirksamt, um die Angelegenheit einvernehmlich zu regeln. Eine Antwort sei bis heute ausgeblieben. Letztlich holte sie sich Rat bei der Senatsverwaltung für Bildung: „Dort riet mir jemand, die Sache notfalls gerichtlich klären zu lassen.“

Daraufhin entschied das Amtsgericht Schöneberg mit der einstweiligen Verfügung, die dem Tagesspiegel Zehlendorf vorliegt. Dort heißt es zum Beispiel: „Das Gericht kann nicht erkennen, dass dem Antragsgegner die Fortführung des Vertrages … nicht zuzumuten ist… Schließlich hat die Mutter der Antragstellerin die Termine im Interesse ihrer Tochter wahrgenommen; der Antragsgegner hat sogar angeboten, der Mutter Unterricht zu erteilen,… Weshalb die Wahrnehmung einzelner Termine dennoch einen wichtigen Grund für eine Kündigung begründen soll, bleibt offen.“

Im Falle von Aline Junker hat wohl ein interner Verwaltungsfehler, der monatelang nicht korrigiert wurde, letztlich zu einem hohen Verwaltungsaufwand und zu Kosten für den Steuerzahler geführt, vermutet die Mutter Susanne Junker
Im Falle von Aline Junker hat wohl ein interner Verwaltungsfehler, der monatelang nicht korrigiert wurde, letztlich zu einem hohen Verwaltungsaufwand und zu Kosten für den Steuerzahler geführt, vermutet die Mutter Susanne Junker

© Anett Kirchner

Auf Nachfrage wollte sich zu dieser Sache weder der Leiter der Musikschule Steglitz-Zehlendorf, Joachim Gleich, noch die zuständige Bezirksstadträtin für Bildung, Cerstin Richter-Kotowski (CDU), äußern. Es handle sich hierbei um ein schwebendes Verfahren. „Dazu nehmen wir grundsätzlich nicht Stellung“, erklären sie.

Richter-Kotowski bestätigt indessen die prekäre Personalsituation an der Musikschule. Das liege aber nicht allein an der Stellenanzahl, sondern auch an den tatsächlich besetzten Stellen. Es gebe zum Beispiel derzeit einen hohen Krankenstand. Hinzu komme der Mehraufwand durch die Einführung einer neuen Verwaltungssoftware in den letzten Jahren. „Das war ein echter Kraftakt“, erklärt sie. In Bezug auf die Personaldecke sei sie im Augenblick froh, zumindest den Status quo zu erhalten. „Mir nützt keine neue Stelle, wenn ich nicht das Geld habe, sie zu bezahlen“, so die Bezirksstadträtin weiter. Deshalb müsse dazu jetzt mit dem Senat für den Haushalt 2016/ 2017 verhandelt werden.

Die Leo-Borchard-Musikschule in Steglitz-Zehlendorf ist die größte Musikschule in Berlin. Etwa 7500 Verträge mit Schülern existieren derzeit
Die Leo-Borchard-Musikschule in Steglitz-Zehlendorf ist die größte Musikschule in Berlin. Etwa 7500 Verträge mit Schülern existieren derzeit

© Anett Kirchner

Auch der Musikschulleiter spricht von einer angespannten personellen Situation. Doch nicht nur die neue Software, sondern vor allem die neue Ausführungsvorschrift (AV) für die Berliner Musikschulen, die seit 2012 gelte, sei dafür verantwortlich. „Dadurch sind zusätzliche Geschäftsprozesse und Arbeiten entstanden“, erklärt Joachim Gleich. Deshalb habe das Bezirksamt nun Kontakt zu dem Staatssekretär für Bildung, Mark Rackles (SPD), aufgenommen und ein kennzahlengestütztes Modell zur Verteilung der Mitarbeiter angeregt. Danach wäre eine bestimmte Anzahl Mitarbeiter für eine bestimmte Anzahl von Verträgen zuständig.

Die Leo-Borchard-Musikschule in Steglitz-Zehlendorf ist die größte Musikschule von Berlin. Joachim Gleich erklärt, dass derzeit etwa 7500 Verträge mit Schülern existieren. Dafür stünden vier Mitarbeiter zur Verfügung. Laut einer unabhängigen Expertenkommission, die sich bereits 2009 unter anderem mit diesem Thema befasst habe, könne ein Mitarbeiter jedoch nur etwa 1000 Verträge betreuen.

Die Musikschule ist seit Jahren nicht "gesund" aufgestellt

Und auch der Förderkreis der Musikschule bezeichnet die derzeitige Situation „alarmierend“. Mit einem offenen Brief hatte er sich im Mai an die Bildungs-Bezirksstadträtin gewandt. Neben weiteren Punkten wurde darin zusätzliches Verwaltungspersonal und eine Stellenausstattung gemäß dem Bericht der Expertenkommission gefordert. „Wenn jemand einen schweren Weg vor sich hat und gesund ist, übersteht er den Weg auch“, umschreibt Gernot Schulz, der Vorstandsvorsitzende des Förderkreises. Die Musikschule sei aber seit Jahren nicht „gesund“ aufgestellt.

Und jetzt habe sich die Situation noch zugespitzt, heißt es in dem offenen Brief: „Wegen der Haushaltssperre kann die Musikschule keine neuen Schüler mehr aufnehmen. Die von den Schülerstundenzahlen abhängigen Musikschullehrer geraten in Existenznot.“ (wir berichteten)

Jetzt am Mittwoch, den 17. Juni, steht dieses Thema auf der Tagessordnung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Steglitz-Zehlendorf. Es geht um einen Antrag der SPD und Piraten, die Musikschule von der Haushaltssperre auszunehmen. Die Fraktionen von CDU und Grünen haben sich dem Antrag inzwischen angeschlossen. Er wurde zuvor im Bildungs- und im Haushaltsausschuss diskutiert.

Gernot Schulz bleibt dennoch skeptisch. „Zwar gibt es eine konkrete Zusage von Frau Richter-Kotowski, dass anstelle der 150 im Februar beendeten Verträge so rasch wie möglich wieder Neue abgeschlossen werden können“, sagt er. Aber der Zusatz, dass dabei insbesondere die sozialen Härtefälle bei den Lehrern berücksichtigt würden, lasse erahnen, dass der Status quo ante nicht wieder so schnell hergestellt werde. Hinzu komme, dass erfahrungsgemäß im August noch eine weit höhere Zahl an Verträgen wegfalle.

Sein Fazit: „Die krasse personelle Unterausstattung in Verwaltung und Leitung der Musikschule, die Probleme mit der neuen Software, der allgemein enge Budgetrahmen - all das ist schon in normalen Zeiten kritisch, bietet aber in solchen Situationen Gelegenheit für Beschneidungen.“

Welche Auswirkungen überfordertes Personal haben kann, hat Susanne Junker zu spüren bekommen. „Was machen denn Eltern, die nicht den langen Atem oder Mut haben, wenn nötig vor Gericht zu gehen“, fragt sich die Professorin für Architektur. Ihr Fazit: Ein anfangs vermutlich simpler Verwaltungsfehler am Computer wurde monatelang nicht korrigiert und führte letztlich zu einem abenteuerlich hohen Verwaltungsaufwand und zu Kosten für den Steuerzahler. „Hätte ich gewusst, dass meine E-Mail im Juli 2014 letztendlich zu so einem Chaos führen würde, hätte ich nie bei der Musikschule irgendetwas nachgefragt“, fasst sie zusammen. Denn eigentlich geht es hier um etwas Anderes: Ihre Tochter möchte einfach nur Klavier spielen.

Die Autorin Anett Kirchner ist freie Journalistin, wohnt in Steglitz-Zehlendorf, und schreibt als lokale Reporterin regelmäßig für den Tagesspiegel Zehlendorf. Folgen Sie Anett Kirchner auch auf Twitter.

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