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So genannte Rippenplatten am Bordstein sind in Richtung der Überquerung gelegt. Mit der Schuhsohle oder mit dem Langstock können sich Sehbehinderte an Straßenübergängen orientieren

© Anett Kirchner

Alltag einer Sehbehinderten in Berlin-Zehlendorf: "Warum ich trotzdem weiter den Mast suche"

Was macht eine "schöne" Ampelanlage aus und was ist an Straßenübergängen weniger blindenfreundlich? Unsere sehbehinderte Autorin beschreibt hier, wie schon kleinste Details einen entscheidenden Unterschied bedeuten.

"Ich habe schon gedrückt für Sie." So höre ich es oft, wenn ich mich mit meinem Blindenlangstock am Bordstein entlang taste, um den Ampelmast an einer Kreuzung zu finden. Oder ich meinem Blindenführhund Poseidon zu verstehen gebe, dass er die Ampel suchen soll. Die Leute sind nett, meinen es gut und wundern sich dann allzu oft, warum ich weiter suche oder suchen lasse. Sie gehen dann los, wenn es grün wird und kümmern sich meist nicht mehr um mich. Das muss ich kurz erklären: Das Auffinden des Ampelmastes ist sehr wichtig für mich, als sehbehinderte Frau. An diesem kann und muss ich mich für das Überqueren der Straße orientieren und ausrichten. Dabei gibt es verschiedene Ampelanlagen.

Die wohl blindenfreundlichsten sind die komplett ausgestatteten mit Signalen und Bodenindikatoren. Wie zum Beispiel am Händelplatz in Steglitz. Man kann aufgrund eines klopfenden Signales den Ampelmast gut finden. Der ist dumpf und passt sich auch dem Straßenlärm gut an. Dann gibt es dort so genannte Rippenplatten am Bordstein. Diese sind so gelegt, dass sie mit der Flucht der Überquerung gehen. Wenn ich darauf stehe, kann ich mich mit der Schuhsohle oder auch mit dem Langstock daran orientieren. Falls die zu überquerende Straße also eine gewisse Schräglage hat, merke ich das gut.

Für Sehbehinderte eine große Hilfe bei der Straßenüberquerung: An vielen Ampelmasten befindet sich dieser Kasten; rund, oval oder eckig. Und es gibt, wie unsere Autorin beschreibt, noch viele andere Hilfen bei der Straßenüberquerung, die Nicht-Sehbehinderten vielleicht oft gar nicht auffallen
Für Sehbehinderte eine große Hilfe bei der Straßenüberquerung: An vielen Ampelmasten befindet sich dieser Kasten; rund, oval oder eckig. Und es gibt, wie unsere Autorin beschreibt, noch viele andere Hilfen bei der Straßenüberquerung, die Nicht-Sehbehinderten vielleicht oft gar nicht auffallen

© Anett Kirchner

Am Ampelmast befindet sich jeweils ein Kasten; rund, oval oder eckig. Manche kann man direkt drücken und manche haben nur unten die Vorrichtung, um das hellere, piepende Geräusch zu erhalten, das mir signalisiert: es ist grün.

Wer es einmal ausprobieren möchte - auf dem so genannten gelben Taster kann man unten einen Pfeil mit den Fingern erfühlen. Auch dieser zeigt in die Richtung, wie ich die Straße überqueren muss. Und hier gibt es auch noch weitere, wichtige Hinweise: ist zum Beispiel ein Punkt auf dem Pfeil, weiß ich, dass es eine Mittelinsel an der Kreuzung gibt. Ist ein Strich dort, bedeutet es, dass Schienen auf der Fahrbahn sind.

Das sind die schönsten Ampelanlagen für sehbehinderte Menschen. Leider gibt es diese nicht überall.

Und dann gibt es halt Ampeln, wie die am Benjamin-Franklin-Krankenhaus am Hindenburgdamm Ecke Moltkestraße. Zwar hat sie so einen gelben Kasten mit einem Pfeil unten drunter und einem Punkt. Eine Mittelinsel ist ja da. Bloß leider kein so genanntes Auffindungssignal, also dieses klopfende Geräusch. Deshalb muss ich hier immer den Mast durch abtasten suchen und das ist bei dem lauten, donnernden Verkehr oft sehr schwer. Zunächst drückt man normal auf den Drücker, wie es jeder Passant macht, um das Grün anzufordern. Ich muss dann zusätzlich unten den Pfeil drücken und nun kommt es: Ich muss meine Finger an dem Pfeil lassen, denn nur dieser signalisiert mir durch Vibration, wann grün ist. Deshalb ist es für mich auch so wichtig, dass ich diesen Mast finde.

Der Pfeil auf der Unterseite zeigt die Laufrichtung, in der man über die Straße laufen muss
Der Pfeil auf der Unterseite zeigt die Laufrichtung, in der man über die Straße laufen muss

© Anett Kirchner

Außerdem empfinde ich es hier an der Kreuzung als besonders schwierig, weil die Straßenüberquerung schräg verläuft. Ich habe genau acht Sekunden Zeit, die andere Straßenseite zu finden. Das ist auch für manche ältere Menschen und Kindergartengruppen nicht zu schaffen. Wenn ich nun auf der Seite des Klinikums stehe und zur Moltkestraße hinüber möchte, habe ich manchmal noch das Pech, dass einer der Busse mit seinem Hinterteil in der Überquerung steht. So dass neben den Autogeräuschen auch der Lärm des Busses hinzukommt. "Prima", denke ich dann oft verzweifelt. So kann ich beim besten Willen diese Straße nicht überqueren.

Außerdem gibt es hier keine Bodenindikatoren, die mir zeigen, wie ich mich als Blinde ausrichten kann. Und wovor ich besonders Angst habe: Wenn ich auf der Mittelinsel stehen bleiben und den nächsten Ampelmast suchen muss. Die Autos donnern los und ich hangle mich mit meinem Stock an der Bordsteinkante entlang, weil ich erneut drücken und die Finger am Pfeil lassen muss.

Kathrin Backhaus lebt seit Jahren mit ihrer Sehbehinderung und engagiert sich im Beirat für Menschen mit Behinderung
Kathrin Backhaus lebt seit Jahren mit ihrer Sehbehinderung und engagiert sich im Beirat für Menschen mit Behinderung

© Anett Kirchner

Aufgrund meiner Intervention habe ich es im letzten Jahr immerhin geschafft, dass die Bordsteinkanten hier auf dieser Mittelinsel auf drei Zentimeter angehoben wurden. Warum diese Ampelanlage aber nicht endlich aufgerüstet und blindenfreundlicher gemacht wird und alle Menschen hier sicher ihre Alltagswege bewältigen können, ist mir schleierhaft. Ich habe eine Fachfirma kommen lassen, die mir einen Kostenvoranschlag für den Umbau dieser Ampel erstellen sollte. Ich wollte dann Spenden sammeln. Weil der Bezirk ja immer gleich mit der Haushaltssperre kommt und wohl keine Gelder hat. Das Paradoxe: Ich weiß zufällig, dass in dem Technikkasten hier an der Ecke der Moltkestraße bereits alle notwendigen Anschlüsse vorhanden sind. Die Signale könnten längst angeschlossen sein und die Ampel damit ausgerüstet. Leider tut sich nichts dergleichen, obwohl das dem Bezirksamt schon länger bekannt ist. Zumal hier viele Sehbehinderte die Straße überqueren wollen, weil sich im Krankenhaus auch eine Augenklinik befindet.

Anfang des Jahres wurde ich vertröstet mit der großen Ampelkreuzung Drakestraße Ecke Hindenburgdamm. Eine wichtige Kreuzung auf dem Weg zur Post. Diese Anlage sollte korrekt eingerichtet werden, sobald die Bauarbeiten auf der Brücke Königsberger Straße fertig gestellt sind. Wir alle wissen, dass die Bauarbeiten längst abgeschlossen sind. Die Bordsteine der Mittelinseln sind aber weiterhin auf Null abgesenkt. Auch wurden keine Signalgeber oder sonstige Arbeiten durchgeführt. Ich beobachte das mit großem Argwohn, denn ein Gang mal eben zur Post ist für mich somit nicht ohne Umweg möglich.

Also freue ich mich weiter über die lieben Zurufe meiner Mitmenschen, dass bereits gedrückt wurde. Nun wissen Sie auch, warum ich trotz alledem weiter diesen Mast akribisch suche. Und wenn ich mit Poseidon zur Ampel komme, helfen Sie ihm bitte, indem Sie den Mast frei halten. Denn er will in jedem Falle das Kommando ausführen und mir den Mast anzeigen. Als kluger Hund hat er sich bereits Strategien angeeignet, wenn dieser Mast mit Menschen verdeckt ist: Er stupst mit seiner dicken großen Nase in die Popos der Menschen. So erreicht er, dass sie zur Seite gehen. Da er mir gefallen möchte, hat er sich das selbst so beigebracht. Ich persönlich finde das aber nicht gut und glaube, wenn Sie zum Beispiel einen hellen Mantel anhaben, Sie wohl auch nicht wirklich...

Und dazu sei noch angemerkt: Nein, der Hund weiß nicht, wann grün ist. Er wartet auf mein Kommando zum Überqueren. Dies muss ich entscheiden. Sei es an einer blindenfreundlichen Ampel durch das Signal oder bei einer Ampel ganz ohne Hilfestellung dann durch mein Gehör. Blinde Menschen orientieren sich ausschließlich nach dem Verkehr. Fährt der Parallelverkehr an, kann ich losgehen. Umso wichtiger ist es, dass bei Ampelanlagen mit dem so genannten grünen Pfeil für die Rechtsabbieger immer eine blindengerechte Ampel vorhanden sein muss! Denn sonst kämen wir wohl kaum rüber.

Die Autorin ist sehbehindert, lebt in Lichterfelde und engagiert sich im Beirat für Menschen mit Behinderung. Der Text erscheint auf dem Tagesspiegel-Zehlendorf, dem digitalen Stadtteil- und Debattenportal aus dem Berliner Südwesten.

Kathrin Backhaus

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