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Diakonie-Hospiz Wannsee von außen

© Anett Kirchner

Der Tod nach der Flucht: Von der Fähigkeit, das Schicksal anzunehmen

Falak Kadra war schwer krank im Herbst 2015 mit ihrer Familie aus Syrien geflüchtet. Nur wenige Monate lebte sie in ihrer neuen Heimat Steglitz-Zehlendorf: Im Sommer ist sie im Diakonie-Hospiz in Wannsee verstorben. Eine Spurensuche.

Es gibt Geschichten, die müssen erzählt werden. Weil sie zeigen, dass unsere Gesellschaft nicht so funktionsunfähig und verroht ist, wie inzwischen manch einer glauben mag. Weil sie demütig und nachdenklich machen, zugleich aber auch froh und hoffnungsvoll stimmen. „Dies ist so eine Geschichte“, findet Franziska Opitz vom Diakonie-Hospiz Wannsee. Sie erzählt über die letzten Tage von Falak Kadra, einer syrischen Frau, die im Herbst 2015 mit ihrer Familie über die so genannte Balkanroute nach Deutschland kam und in Steglitz-Zehlendorf Zuflucht fand. Wenige Monate später verstarb sie hier im Hospiz. An Bauchspeicheldrüsenkrebs. Sie wurde 40 Jahre alt, hinterlässt ihren Ehemann und fünf Kinder - darunter eine dreijährige Tochter.

Wie fasse ich etwas in Worte, das schwer zu sagen ist, fragt sich Franziska Opitz und wartet einen Moment. Sie will nichts vermeintlich Falsches sagen, niemanden verletzen, bei diesem hochsensiblen Thema. Dann beginnt sie leise zu erzählen: „Bei all der Tragik habe ich es trotzdem nicht als Tragödie empfunden.“ Die Kinder spielten im Garten des Hospizes Fußball, als die Mutter bereits tot in ihrem Bett lag. Manchmal sei die kleine Tochter zu der Verstorbenen geeilt, habe einen Moment inne gehalten und kehrte dann zu ihren Geschwistern nach draußen zurück. Sie pendelte regelrecht hin und her; zwischen Tod und Leben.

Die Mitarbeiterin des Lageso hat sich nicht rein behördlich verhalten, sondern auch menschlich

„Gesünder hätte sie damit nicht umgehen können“, sagt die erfahrene Sozialarbeiterin und Seelsorgerin. Seit zwölf Jahren arbeitet Franziska Opitz im Hospizdienst, wird täglich mit Krankheit, Tod und Trauer konfrontiert und hat darin gewissermaßen eine Art Routine. Diese Geschichte der syrischen Familie jedoch bewegt sie besonders.

Unter anderem auch deswegen, weil die Zusammenarbeit mit dem in letzter Zeit so in Verruf geratenen Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) problemlos funktioniert habe. In kürzester Zeit sei die Kostenübernahme bewilligt worden. Denn trotz der emotionalen Herausforderung, die ein Aufenthalt im Hospiz für alle Beteiligten bedeute, dürfe die Arbeit für den laufenden Betrieb der Einrichtung nicht vergessen werden. Ein Tag hier kostet etwa 270 Euro. „Die Mitarbeiterin des Lageso hat sich nicht rein behördlich verhalten, sondern auch menschlich“, erinnert sich Opitz und verrät, dass sie sich darüber richtig gefreut habe.

Und dann wechselt sie das Thema, erzählt wieder von der todkranken Falak Kadra, die eine schöne und würdevolle Frau gewesen sei, mit einer großen innerlichen Stabilität, die Schlimmes in ihrer Heimat erlebte, starke Schmerzen angesichts ihrer Krankheit hatte, jedoch nie klagte. Sie habe die Fähigkeit besessen, ihr Schicksal anzunehmen. Und auf die Frage, wie sie sich fühle, habe die gläubige Muslimin geantwortet: „Gott sei alle Ehre.“

Laterne am Hospiz-Eingang: Sie wird angezündet, wenn jemand im Haus verstorben ist

© Anett Kirchner

Falak Kadra wurde vom Helios Klinikum Emil von Behring in Zehlendorf in das Hospiz Wannsee verlegt. Zuvor hatte sich Antje Rüger-Hochheim, Koordinatorin des Kinderhospiz- und Familienbegleitdienstes der Malteser in Berlin, fast sechs Monate um die geflüchtete Syrerin gekümmert. Weil auch ihr das Schicksal der Frau persönlich nahe ging, wie sie erzählt, setzte sie alles in Bewegung, um zu helfen; etwa bei sprachlichen Hürden, bei Gesprächen mit Ärzten oder bei Behördengängen. Der Krankheitsverlauf sei jedoch zu schwer gewesen, für eine weitere Chemotherapie war sie zu schwach. Antje Rüger-Hochheim blieb nur die Anmeldung im Hospiz. „Denn im Flüchtlingsheim am Hohentwielsteig in Zehlendorf, wo die Familie wohnt, hätte sie nicht anständig medizinisch und palliativ versorgt werden können“, sagt sie.

Der Ehemann der Kranken, Nazar Kadra, dem zu diesem Zeitpunkt vermutlich nicht vollends bewusst war, dass das Hospiz die letzte Station im Leben seiner Frau sein wird, habe noch hoffnungsvoll gefragt, ob sie hier gesund werde. Nein, leider nicht, musste ihm Franziska Opitz sagen. Seinen traurigen Blick werde sie nicht vergessen. „Das war der Moment, an dem ich zum ersten Mal bei meiner Arbeit geweint habe.“ Nur vier Tage verbrachte die todkranke Frau hier im Hospiz, gemeinsam mit ihrer Familie, die rund um die Uhr bei ihr war; bis sie am 22. Juni verstarb.

Später wurden die Traditionen der Bestattungskultur ihrer Familie respektiert, die Verstorbene nicht gewaschen und ausgesegnet, wie es in der christlich geprägten Einrichtung sonst üblich ist. Stattdessen kümmerte sich ein islamisches Bestattungsinstitut um die Beisetzung. Falak Kadra fand auf dem Landschaftsfriedhof in Spandau ihre letzte Ruhe.

Übersetzerin Maha Alusi, Antje Rüger-Hochheim vom Kinderhospiz- und Familienbegleitdienst der Malteser in Berlin, Christian Hahn und Franziska Opitz vom Diakonie-Hospiz Wannsee, Nazar Kadra mit seiner kleinsten Tochter sowie Hannelore Friedrichowitz vom Diakonie-Hospiz-Wannsee

© Anett Kirchner

Ihrem Ehemann Nazar Kadra ist es indes wichtig, Dank zu sagen. Für unser Interview kehrt er noch einmal in das Hospiz zurück. Ein schwerer Gang. Das ist ihm anzusehen. Weil er nur arabisch spricht, übersetzt Maha Alusi, eine Irakerin, die seit 23 Jahren in Deutschland lebt. Sie ist mehr als eine Übersetzerin, hat die syrische Familie während der schweren Zeit der Krankheit auch als Freundin begleitet. „Soviel Menschlichkeit wie hier habe ich noch nie erfahren“, sagt Nazar Kadra. Ärzte, Ehrenamtliche, Sozialarbeiter – alle hätten ihn unterstützt. Das mache ihn beinahe sprachlos und er fühle sich geehrt. „So eine Behandlung gibt es sonst nirgends auf der Welt“, sagt er und denkt vermutlich zurück an sein schwieriges Leben in den letzten Jahren.

Der 46-Jährige kommt ursprünglich aus Daria, einem kleinen Ort etwa sechs Kilometer von Damaskus entfernt. Dort ist er geboren, aufgewachsen, gründete eine Familie und arbeitete als Tischler. „Wir führten ein schönes Leben“, sagt er. Bis die Bomben des Krieges näher kamen, Straßen blockiert und das Leben immer schwieriger und gefährlicher wurde. Als sein ältester Sohn zur Armee eingezogen werden sollte, entschied er sich mit seiner Familie zur Flucht nach Jordanien. Dort lebte bereits seine älteste Tochter mit ihrer Familie. „Das war eigentlich in Ordnung; für etwa ein Jahr“, erinnert er sich. Dann wurde seine Frau plötzlich krank.

Einen Großteil seines Ersparten und das Geld, das er in Jordanien als Tischler verdiente, gab er für die Behandlung im Krankenhaus aus. Nach einer Chemotherapie ging es ihr zwar besser. „Doch die Ärzte sagten mir, dass sie mehr für meine Frau nicht tun könnten, wir am besten zurück nach Syrien gehen sollen“, erzählt Nazar Kadra. Im Herbst 2015 begann dann die enorme Fluchtwelle über den Balkan nach Mitteleuropa. Er hatte noch 4000 Dollar und sah darin seine einzige, letzte Chance, hoffte auf eine bessere medizinische Versorgung in Deutschland. Mit Flugzeug, Boot, Zug, Bus und zu Fuß traten die Eltern mit ihren drei Söhnen, 19, 16 und neun Jahre alt, und der dreijährigen Tochter die Flucht in eine ungewisse Zukunft an. Die älteste Tochter blieb in Jordanien. Zehn Tage später, im November 2015, kam die Familie hier in Berlin an, wurde zunächst notdürftig in einer Sporthalle in Steglitz-Zehlendorf untergebracht. Die kranke Falak Kadra war da schon wesentlich geschwächt.

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