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Die Autorin Nina Rohrer

© privat

Per Rad von Zehlendorf an die Ostsee: Mein 380-Kilometer-Experiment

Am Ende würde sie es nicht sofort noch mal machen: Das Experiment, von Zehlendorf per Rad an die Ostsee. Unsere Autorin hat den Trip mit ihrem Vater gewagt, hier erzählt sie von Sonnenbrand, ausgestorbenen Dörfern und Cafés, in denen es keinen Kaffee gibt.

Ein paar Worte will ich hier am Anfang verraten, bevor es losgeht: Auch wenn mein Sonnenbrand manchmal so brannte, als könne ein Wassertropfen darauf verdampfen, gleicht das Gefühl am Ende alle Erschöpfung aus. Allerdings: Obwohl ich es mir anstrengender vorgestellt habe, diese 380 Kilometer, würde ich es nicht - sofort - noch mal machen!

Der erste Gedanke, der mir durch den Kopf ging als ich am Dienstag den 9. Juli aufwachte war: „Wo werde ich wohl in 24 Stunden sein?“ Ich und mein Vater wollten an die Ostsee – nur mit dem Rad und dem Nötigsten ausgestattet.  Es ist ein kleines Experiment, einfach so aus Spaß und um zu wissen, ob man es kann.

Meist geht es durch kleine, stille und verlassene Dörfer

Es ist 9 Uhr 30, als wir starten, das Thermometer zeigt 22 Grad Celsius, und es wird auf 30 Grad ansteigen. Nach 20 Kilometern gibt es das erste Problem: Wir wissen den Weg nicht mehr. Die Karte sagte uns andere Straßen voraus als die, die wir sehen. Erst nach einer Weile begreifen wir, dass wir eine Straße auf der Karte übersehen haben.

Aber jetzt sind wir auf dem richtigen Weg. Ich schaffe es mehrmals, fast von einem Bus zerquetscht zu werden und entwickele mit der Zeit einen großen Respekt vor Bushaltestellen. Am Anfang freue ich mich vor allem auf eine Straße mit dem Namen „Freiheit“. Es wird ein Reinfall!

Die Freiheit ist groß, das schon, aber vor allem ist sie laut. Müllheizkraftwerke oder Video-Verleihe zieren die Bürgersteige. Hier mit dem Fahrrad entlangzufahren, ist der reinste Horror: ständig rauschen riesige Lastwagen überraschend aus Auffahrten heraus oder es tauchen wie aus dem Nichts Baustellen auf.

Der Gegenwind verhindert ein schnelles Fortkommen

Gäbe es den Beruf „Straßennamenänderer“, dann würde ich empfehlen, diese Straße in „Straße der Industrie“ umzubenennen.

Dann ist der Lärm vorbei. Wir fahren nun durch einen kleinen, ziemlich schönen Wald. Und plötzlich, ziemlich weit hinten, versteckt zwischen den Bäumen, steht ein Reh. Später rechts und links endlose Weizen- oder Maisfelder, Autos fahren tosend an einem vorbei, die Sonne brennt vom Himmel und der Gegenwind verhindert, dass wir zügig weiterkommen.

Endlich ein Dorf! Sogar ein Restaurant! Die Tische sind gut besetzt, vor mir sehe ich schon einen Eisbecher und eine eisgekühlte Cola, und ich freue mich, dass wir so weit gekommen sind, um mit Stolz Pause machen zu können. Aber – wieder mal zu früh gefreut.

Die Kellnerin sagt, es gebe momentan nichts mehr zu essen, da die Köche zu beschäftigt seien. Wir bestellen Eiskaffee, wir haben selbst noch etwas zu essen dabei, aber so ein schöner, kühler Eiskaffee… „Nee“, sagt die Kellnerin. Auch Eis gehöre zum Essen und dafür hätten die Köche… Wir verlassen enttäuscht das Dorf, der Magen knurrt ärgerlich, weil er sich nach Eis sehnt.

Die Autorin Nina Schröder und ihr Vater
Bevor es los ging: Zu Hause in Lichterfelde West mit Papa Martin Schröder

© privat

Nicht viel weiter erreichen wir unsere Gaststätte: „Zum Scharfenberger Krug“. Essen, duschen, und schön schlafen!  Morgens denke ich an meine Frage vom Vortag, jetzt weiß ich also, wo ich 24 Stunden später bin. Der neue Tag läuft wie der alte. Der Wind kämpft immer noch gegen uns und wir gegen ihn. Nur die Sonne ist diesmal auf unserer Seite, versteckt sich brav hinter Wolken und kommt nur ab und zu heraus, um uns zu wärmen.

Stundenlang ein leeres Dorf nach dem anderen. Ich stelle mir vor, hier zu leben: Keine anderen Kinder, kein Schwimmbad, mehrere Kilometer bis zum nächsten richtigen Laden oder zur Schule. Ganz anders als das belebte, volle Berlin. Könnte doch auch schön sein: Traktor fahren lernen mit zehn Jahren, im stillen See baden, eigene Pferde, große Gärten und goldene Felder.

Kaffee? Nö, gibt nur Kakao!

Am gleichen Tag noch verlassen wir Brandenburg und sind in Mecklenburg-Vorpommern. Ein weiterer Triumph, wir kommen gut voran. Dieses Mal haben wir uns vorher keine Gaststätte als Ziel vorgenommen, was in den kleinen Dörfern ein echtes Problem darstellen kann. Wir haben Glück. In Tramm, einem weiteren kleinen Dorf  kurz vor Schwerin, finden wir „De lütte Slaapmütz“ – ein nur von einer Frau betriebener Gasthof, in dem wir übernachten. Dann wieder das gleiche Ritual: Duschen, essen, schlafen – das wird in den nächsten vier Tagen immer so gehen am Abend.

Wir wollen es nach Lübeck schaffen, aber erst einmal müssen wir Schwerin passieren. Die wunderschöne Altstadt will uns aber nicht loslassen, ständig verfahren wir uns, brauchen bestimmt eine Stunde, um wieder aus der Stadt zu kommen. Das  Schweriner Schloss ist wunderschön. Es glitzert in der Sonne und spiegelt sich in dem See wieder, der es umschließt.

Schöne Kulisse. Nina Schröder vor dem Schweriner Schloss.
Schöne Kulisse. Nina Schröder vor dem Schweriner Schloss.

© privat

Jetzt wird es hügeliger, und es kommt mir so vor, als wäre die Seite, die wir hinauffahren immer viel steiler als die, die wir hinabrollen. Nur ein Hügel gefällt mir, weil wir runterfahren und dabei unseren bisherigen Rekord aufstellen 40 km/h. Unsere Durchschnittsgeschwindigkeit ist in den letzten beiden Tagen von 18 auf 15 km/h gesunken, was ziemlich deprimierend ist und wir vor allem dem Gegenwind zu verdanken hatten.

Irgendwann kommen wir durch eine kleine Altstadt namens Gadebusch. Die Häuser sind eng aneinander stehende, sehr alte Backsteinbauten, die Straßen sind gepflastert und schmal. Und in der Stadt steht eine große, alte Kirche die von einem kleinen Platz umgeben ist. Doch merkwürdig: Die Stadt ist wie ausgestorben, die meisten Gewerbe sind Versicherungen oder Schlüsseldienste. Hier und da sieht man eine zugemachte Kneipe, wenige Menschen laufen auf den Straßen. Ich wundere mich, warum Gadebusch nicht mit seinen alten Häusern für sich wirbt, Souvenirläden, aufmacht oder andere Versuche unternimmt, Touristen anzulocken. Schließlich ist die Altstadt wunderschön.

Am Abend sind wir endlich in der Altstadt von Lübeck! Am nächsten Morgen hat der Gegenwind nachgelassen. Wir entdecken auf der Straße ein totes Kaninchen. Es ist das 28. tote Tier, das ich sehe. Besonders viele Maulwürfe hatten wir tot am Straßenrand oder im Gebüsch liegend entdeckt, und rätselten, woran sie wohl gestorben waren und vor allem, warum sie überhaupt aus ihren Bauten herausgekommen sind.

Berlin! Ein Dorf...

Wir erreichen die Stadt Preetz, gehen ins nächstbeste Café und fragen nach einem Kaffee. Antwort: „Also Kaffee hab ich gar nicht. Nee, tut mir Leid, außerdem schließe ich in fünf Minuten. Aber Kakao kann ich anbieten.“ Das ist ja noch schlimmer als in dem Restaurant vom ersten Tag, in dem es kein Essen gab!

Auf dem Weg nach Kiel fahren wir durch „Berlin“ – so heißt das Dorf. Ein Mann steht vor dem Ortsschild und macht ein Foto, ein Dorf,  wie jedes andere: klein, verlassen, still. Aber die Straßen tragen Namen wie in Berlin, etwa „Potsdamer Straße“.

Nina Schröder vor dem Dorf Berlin
Kurz vor Berlin - dem Dorf Berlin, das auch eine Potsdamer Straße besitzt.

© privat

Dann kommen wir nach Kiel, endlich wieder eine richtige Stadt. Wir überqueren die Holtenauer-Hochbrücke. Viele Meter unter mir fahren riesige Schiffe und man kann das Meer sehen. Auf der anderen Seite der Brücke geht es runter, ich rolle den steilen Hang hinab und hoffe auf einen neuen Rekord im Schnellfahren. Aber plötzlich joggt vor mir eine Frau aus einen Nebenstraße, ich bremse mit quietschenden Reifen und lasse sie vorbei. Sie bedankt sich nicht, und ich ärgere mich über den verpassten Rekord.

„Strande/5 km“ steht auf einem Schild. In einer knappen halben Stunde wird unsere Radtour zu Ende sein. Endlich sehe ich das Schild zu der Straße, in der unser Ferienhaus steht. Endlich biege ich in die Straße ein, und endlich fahre  ich die Einfahrt hoch. Hurra, wir sind da!

Die Autorin geht auf die Goethe-Oberschule, sie ist 15 Jahre. Der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels.                                                                         

Nina Schröder

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