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Anfangs wusste niemand so recht, was man mit den einstigen Tagebauen anfangen kann.

© picture alliance/dpa

Europäischer Gartenpreis: Biosphärenreservat Spreewald und Lausitzer Seenland preisgekrönt

Aus ehemaligen Braunkohle-Tagebauen wurden grüne Erholungsgebiete. Besonders ein Mann trieb den Landschaftswandel in der Region voran.

Von Sandra Dassler

„Das ist ein wunderbares Signal für die Lausitz und vor allem genau zur richtigen Zeit“, sagt Rolf Kuhn: „Es honoriert die Anstrengungen der Vergangenheit und macht Mut für die Herausforderungen der Zukunft.“ Die Nachricht hatte den renommierten Landschaftsplaner selbst überrascht: Das Lausitzer Seenland erhält gemeinsam mit dem Biosphärenreservat Spreewald den Europäischen Gartenpreis 2018/19.

Aber wieso Gartenpreis? Rolf Kuhn, erfuhr schnell, dass der vom European Garden Heritage Network (EGHN) gestiftete Preis in den Jahren 2018 und 2019 um die Kategorie „Beste Entwicklung einer für das europäische Kulturerbe bedeutenden Kulturlandschaft“ erweitert wurde. Weitere Preisträger dafür sind der Krajinski-Landschaftspark in Slowenien und der rumänische Mihai Eminecu Trust, der sich mit Schwerpunkt in Siebenbürgen seit Jahren im Bereich der urbanen und dörflichen Entwicklung engagiert.

„Einfach wieder zuschütten, ging nicht“

Am 7. September werden die Preise im Schloss Nordkirchen im Münsterland anlässlich eines Symposiums zum Thema „Europäische Kulturlandschaften“ übergeben. Rolf Kuhn wird dort viel zu erzählen haben: Wie er vor 20 Jahren seinen Arbeitsplatz als Direktor des Bauhauses Dessau verließ, um Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung (IBA) Fürst-Pückler-Land zu werden. Wie viele Diskussionen es um den Landschaftswandel in der Lausitz gab. Und wie es ihn als Professor für Städtebau und Gebietsplanung reizte, das ehemalige Braunkohlerevier zu verändern. „Was macht man mit so einer industriell kaputtgemachten Landschaft? Diese Frage hat mich sehr bewegt“, sagt der heute 71-Jährige. Zumal es keinerlei Plan gegeben habe, wie es in der Region weitergehen sollte.

Viele Tagebaue waren nach 1990 geschlossen worden und niemand wusste so recht, was mit den riesigen Gruben, die sich wie tiefe Wunden in die Erde gegraben hatten, anzufangen sei. „Einfach wieder zuschütten, ging nicht“, sagt Kuhn: „Es fehlen ja die Kohle, aber auch der ebenfalls genutzte feine Sand sowie Lehm und Ton. Klar war aber auch, dass das während der Förderung künstlich und teuer um bis zu 80 Meter abgesenkte Grundwasser langsam wieder aufsteigen und die Gruben füllen würde.“

Mehr als Badestrand

Es lag also nahe, Seen aus den Tagebauen zu machen, aber das allein war noch kein Konzept zur Landschaftsgestaltung. Kuhn und sein Team wollten zwei Dinge berücksichtigen: Erstens die Geschichte nicht ignorieren und zweitens neue Nutzungen ermöglichen, aber nicht als eine Art Disneyland.

In den zehn IBA-Jahren entstanden so zwischen dem nordsächsischen Bad Muskau und dem polnischen Gubin fast drei Dutzend Projekte, darunter die berühmten IBA-Terrassen in Großräschen, das als „liegender Eiffelturm“ bekannte Besucherbergwerk F60, der Hafen in Senftenberg, die schwimmenden Häuser und Stege, die Biotürme in Lauchhammer oder das Erlebnis-Kraftwerk in Plessa.

Nicht alle Projekte sind fertig. Manche wie der Cottbuser Ostsee haben noch einen längeren Weg vor sich. Aber das Seenland wurde und wird gemeinsam entwickelt. „Wir wollten auf jeden Fall verhindern, dass jeder Ort an seinem See einen Badestrand einrichtet und das war’s“, sagt Rolf Kuhn. Dass das gelungen ist, wird er aus Bescheidenheit nicht äußern. Aber voller Stolz erzählt er, dass ihm kürzlich ein aus Bauhaus-Zeiten bekannter Kollege nach dem Besuch des Seenlands gesagt habe: „Ich beneide Sie um die Philosophie, die Sie in diese Landschaft getragen haben.“

Nicht alles hat sich verwirklichen lassen. Der von der „FAZ“ erteilte Rat, alles allein der Natur zu überlassen, fand bei den Anwohnern ebenso wenig Zustimmung wie Kuhns Vorschlag, aus einem der Tagebaue eine „Wüste Oase“ zu machen. „Die meinten, dass sie lange genug neben dem Tagebau sozusagen in der Wüste gewohnt hätten und konnten sich nicht vorstellen, dass Menschen so etwas hundert Jahre später spannend finden.“

Auch immer mehr Touristen

Weil das Trockenhalten einer Grube sehr teuer gewesen wäre und weil die IBA-Pioniere nichts ohne Zustimmung der Bevölkerung machen wollten, scheiterte das Projekt. Bei anderen Vorhaben waren die Einheimischen zwar ebenfalls skeptisch, aber da kam Kuhn die typische „Erst mal abwarten“-Mentalität der Niederlausitzer zu Hilfe: „Bis sich der Widerstand formiert hatte, waren schon Tatsachen geschaffen und werden nun für gut befunden.“

Und das nicht nur von Einheimischen. Immer mehr Touristen kommen in die Region, viele erst mal nur für einen Tag, erzählen Bürgermeister und Hoteliers. Die seien eigentlich zu Gast im Spreewald würden aber dort vom Seenland erfahren. Deshalb ist es wohl auch folgerichtig, dass der Europäische Preis auch an das 1991 von der Unesco offiziell anerkannte Biosphärenreservat Spreewald geht.

Das ist mit 1550 Kilometern Fließgewässern, von denen fast 400 Kilometer mit Kajaks, Kanus, Stand-up-Paddeling oder Kähnen befahren werden können, einzigartig in der Welt. Fischotter, Seeadler, Rotbauchunke fühlen sich hier zwischen Feuchtwiesen und Erlenwäldern ebenso wohl wie Besucher aus dem In- und Ausland.

Die Zeiten, wo die Spreewälder halb überheblich, halb besorgt wegen der vermeintlichen Konkurrenz auf das Seenland schauten, sind zum Glück vorbei. „Mit zunehmender Entfernung, von Köln oder gar vom Ausland aus, nimmt man die Region ohnehin gemeinsam wahr“, sagt Kuhn: „Wenn ich Besuch bekomme, zeige ich immer beides: den alten Spreewald, der letztlich auch einmal künstlich, also von Menschen geschaffen wurde, und das neue, moderne Seenland.“

Da es viele Überschneidungspunkte gibt wie beispielsweise an der Slawenburg in Raddusch sei es sinnvoll, die Region auch gemeinsam zu vermarkten und zwar mindestens von Prag bis Berlin.

Dieses Einzugsgebiet brauche man – um den Strukturwandel zu meistern und eine gewisse Verzagtheit der Bevölkerung zu beenden, sagt Kuhn. Der Preis sei auch dafür sehr wichtig. Wie 1995 die erfolgreiche Bundesgartenschau in Cottbus gebe er den Menschen hier, die sich wegen der Kohle-Diskussion manchmal wie die Schmuddelkinder der Nation fühlen, etwas mehr Vertrauen. In die eigene Kraft und in die Schönheit ihrer Heimat.

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