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Bizarrer Fall: Schreibtisch West, Arbeitslosengeld Ost

Ein früherer Geschäftsführer einer Immobilienfirma klagte auf mehr Erwerbslosengeld, das Sozialgericht wies ihn ab: Weil der Büroeingang im Ostteil der Stadt liegt.

20 Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es offenbar noch immer eine scharfe Trennlinie zwischen Ost- und West-Berlin. Wenn man so will, zieht sich diese Linie sogar durch Gebäude – so wie der frühere Grenzverlauf. Das bekam der ehemalige Geschäftsführer einer Immobilienfirma zu spüren, als er vor dem Sozialgericht klagte, weil er seiner Meinung nach rund 200 Euro Arbeitslosengeld zu wenig erhielt. Das Arbeitgeberbüro befindet sich am Potsdamer Platz im Beisheim-Center, zwischen den Stadtteilen Tiergarten (West) und Mitte (Ost). Etwa drei Viertel des Grundstücks liegen in Tiergarten, Haupteingang und Postanschrift Ebertstraße 2 aber im früheren Ost-Berlin. Die Klage wurde abgewiesen. „Ein Beschäftigungsort richtet sich laut Urteil danach, wo sich der Haupteingang befindet“, sagt Marcus Howe, Sprecher des Sozialgerichtes. Die genaue Verortung des Arbeitsplatzes ist deshalb so wichtig, weil es in der Sozialgesetzgebung noch immer Unterschiede gibt zwischen Ost und West.

Im Fall des Ex-Geschäftsführers gibt es dafür besondere Gründe. Als Gutverdiener stand ihm nicht wie sonst üblich ein gewisser Prozentsatz seines letzten Einkommens zu, sondern der gesetzlich festgelegte Höchstsatz. Und dieser ist im Osten niedriger als im Westen, weil er nach der noch immer unterschiedlichen Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung berechnet wird.

Die Gewerkschaft Verdi reagierte auch auf diesen speziellen Fall entschlossen. „20 Jahre nach der Einheit muss mal Schluss sein“, sagt Judith Kerschbaumer, Leiterin der Sozialpolitik. Der Osten sei einkommensmäßig „immer noch hintendran“, während sich die Lebenshaltungskosten längst angeglichen hätten. Eben mit diesem Argument der unterschiedlich hohen Lebenshaltungskosten begründet die Politik das Tarifgefälle zwischen West und Ost. Auch die Löhne im öffentlichen Dienst in Berlin waren lange Zeit unterschiedlich, sind nun aber angeglichen. Zwischen den Bundesländern bestehen aber weiterhin Unterschiede in Bezug auf die Arbeitszeiten: Laut Tarifvertrag muss in den neuen Bundesländern im Durchschnitt länger gearbeitet werden (40 Stunden wöchentlich), als in den alten (38,7 bis 40,1 Stunden). Berlin und Hessen sind Sonderfälle, weil sie eigene Tarifverträge haben.

Für die künftige Rechtsprechung dürfte die Klärung des Standortes der Berliner Arbeitsplätze von geringer Bedeutung sein. „Gutverdiener mit einem Büro auf der ehemaligen Grenze wird es wohl eher selten geben“, sagt Gerichtssprecher Howe.

Eine besondere Ironie enthält das Urteil, weil der Kläger durch einen Hintereingang täglich in sein Büro am Potsdamer Platz gelangt sein könnte, ohne jemals einen Fuß ins ehemalige Ost-Berlin zu setzen – selbst in dem Gebäude hat er sich möglicherweise stets auf der Westseite bewegt. In der Mitteilung des Gerichtes steht dazu: „Auch auf den Standort des Schreibtisches innerhalb des Gebäude kommt es nicht an, da dies zu reinen Zufallsergebnissen führen würde.“ Auch die Lage des überwiegenden Teils des Gebäudes sei unerheblich, heißt es weiter, weil sie mitunter erst nach einer umständlichen Vermessung ermittelt werde könne.

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