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Seelsorger und Krisenhelfer. Chalid Durmosch, Nikoletta und Andy Abbas Schulz (re.) werden heute geehrt. Foto: Uwe Steinert

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Berlin: Brückenbauer

Der Neuköllner Verein Lichtjugend wird vom Bundesinnenministerium ausgezeichnet

Zum ersten Mal ins Gefängnis gegangen ist Andy Abbas Schulz vor sieben Jahren – als Besucher. Der 34-Jährige gehört zu den Gründungsmitgliedern des Vereins „Lichtjugend“, in dem sich muslimische Akademiker aus Neukölln zusammengeschlossen haben, um Jugendliche mit Migrationshintergrund besser zu integrieren und sich für den Dialog der Kulturen und Religionen zu engagieren. Das Licht im Vereinsnamen steht für das Wissen, das die Mitglieder vermitteln möchten.

Die Lichtjugend ist einer von fünf Preisträgern, die am heutigen Sonntag im Haus der Kulturen der Welt geehrt werden: als „Botschafter für Demokratie und Toleranz“. Vergeben wird diese Auszeichnung vom gleichnamigen Bündnis, das vom Bundesinnen- und Bundesjustizministerium gegründet wurde.

Andy und ein paar andere Mitglieder gehen einmal in der Woche in die JVA Plötzensee und nach Lichtenrade. Für muslimische Gefangene bieten sie dort Gefängnisseelsorge an. „Wir sprechen mit den jungen Gefangenen über Privates, über ihre Identität und theologische Dinge“, sagt Andy. Und auch über Themen wie den Nahostkonflikt, bei denen es „viel zu beackern“ gäbe.

Die Lichtjugend, für die acht bis zehn Mitglieder regelmäßig und überwiegend ehrenamtlich arbeiten, geht dorthin, wo es Probleme gibt. Und sie versucht, Konflikte zu entwirren, die entstehen, wenn sich Politik, Kultur, Tradition und Religion so ineinander verflechten, dass sie die Menschen trennen. „Religion ist für uns aber Privatsache“, betont Andys Mitstreiter Chalid Durmosch, der hauptberuflich in der Jerusalemkirche für das Forum für interreligiöse Bildung arbeitet – eine Stelle, die er sich mit einem jüdischen Kollegen teilt.

Das Reden über Theologie könne aber oft dabei helfen, Konflikte zu lösen. Zum Beispiel an den sogenannten Problemschulen, in denen auch Andys Ehefrau Nikoletta regelmäßig Workshops abhält. „Ich spreche dort mit den Jugendlichen oft über Themen wie die Rolle der Frau“, sagt sie. Und sie versuche dann, durch ihre eigene Biografie Vorurteile zu beseitigen – zum Beispiel, dass Frauen ihre Wohnung nur dann verlassen dürfen, wenn sie von ihrem Mann begleitet werden.

Nikoletta, Chalid und Andy sind gemeinsam in Neukölln zur Schule gegangen. Sie kennen das Umfeld, in dem es für die Pädagogen schwer ist zu lehren und die Schüler kaum Chancen haben, ihren Spaß am Lernen zu entdecken. „Wir haben unsere Lehrerin schon in der vierten Klasse zum Weinen gebracht“, erinnert sich Andy. Ums Abitur herum haben sich die drei intensiv mit Religion und dem Sinn des Lebens beschäftigt – und sich schließlich für den Islam entschieden. Bei vielen Schülern, die sie in Neukölln besuchen, stellen die Mitglieder große Wissenslücken in Bezug auf die Religion fest.

Obwohl sich diese oft sehr stark über ihren Glauben identifizieren. „Wenn ich mit den jungen Leute über Themen wie Schule oder Karriere spreche, dann reagieren sie meist nicht“, sagt Andy. Beim Thema Religion werde es hingegen plötzlich ganz still. Dann sei es auch für die Pädagogen interessant zu sehen, wie wenig die Schüler über den Islam wissen. Die Lichtjugend kooperiert unter anderem mit der Bundeszentrale für politische Bildung und der Polizei. Gerufen werden sie häufig, wenn es brennt – weil zum Beispiel ein jüdischer Mitschüler gemobbt wird. „Damals war ich zusammen mit einem jüdischen Rabbiner vor Ort“, erinnert sich Andy. Und sowohl Schüler als auch Lehrer seien erstaunt darüber gewesen, dass die beiden im Doppelpack erschienen waren.

Die Lichtjugend bietet auch Seminare für Lehrer an – in denen die Mitglieder vermitteln, wie wichtig es ist, aufeinander zuzugehen. Und den muslimischen Kindern zum Beispiel auch zum Zuckerfest zu gratulieren. „Schüler und Lehrer brauchen ein empathisches Verhältnis der Wertschätzung“, sagt Andy. Die Pädagogen erfahren von der Lichtjugend auch, dass der Islam zum Beispiel die Teilnahme am Sportunterricht nicht verbietet. Andy und Nikoletta hatten in der Abiturzeit übrigens gemeinsamen Turnunterricht: „Dabei hat er ein Auge auf mich geworfen“, lacht seine Frau. Rita Nikolow

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