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Berlin: Buddelei endlich vorbei: Auferstanden aus den Baugruben

Ein gebeutelter Kiez atmet auf. In der Weitlingstraße am Bahnhof Lichtenberg ist ein Ende der jahrlangen Buddelei absehbar.

Ein gebeutelter Kiez atmet auf. In der Weitlingstraße am Bahnhof Lichtenberg ist ein Ende der jahrlangen Buddelei absehbar. Aufbruchstimmung herrscht auch in der "Mokkaperle". Vor wenigen Wochen übernahmen Yvonne Stremmer und Tobias Hoffmann die bereits zu DDR-Zeiten existierende Konfiserie. "Ich wollte immer einen Schokoladenladen haben", sagt Frau Stremmer, deren Metier eigentlich das Organisieren von Kunstausstellungen ist. Obst- und Gemüsehändler Olaf Witte hingegen schwankt zwischen Skepsis und Zuversicht. Er ist einer der 53 Einzelhändler an der Einkaufsmeile. "Bis zum Mauerfall war hier so viel los, dass man kaum über die Straße kam", erinnert er sich. "Mit dem Angebot im Westteil der Stadt konnte wir aber zunächst nicht mithalten."

Für die Käufer, die sich allmählich wieder an die Weitlingstraße erinnerten, wurde ab Mitte 1997 der Einkauf zum Hindernislauf. In der 1994 vom Senat als Sanierungsgebiet festgelegten Straße wurden für rund 30 Millionen Mark Ab- und Schmutzwasserkanäle, Stromleitungen und das Fernmeldenetz erneuert, die löchrige Fahrbahn sowie die kaputten Bürgersteige asphaltiert. Unter Ohren betäubendem Lärm und Schmutz hielten die Händler den Verkauf aufrecht. Doch immer mehr Kunden blieben aus, der Umsatz ging bis zu 50 Prozent zurück. Zwar ist die Sanierung nahezu abgeschlossen. Aber die neuen Einkaufszentren machen den Händlern zu schaffen. "Dort gibt es Parkhäuser und alles unter einem Dach. Bei mir werden dann lediglich die vergessenen Kartoffeln gekauft", klagt Witte. Trotzdem hofft er, dass die Straße wieder attraktiver wird, allmählich mehr Leben einzieht. "Das funktioniert aber nur, wenn auch leer stehende Wohnungen wieder vermietet werden." Denn wer es sich leisten konnte, zog weg aus dem Kiez, so Witte.

Nach Hochrechnungen des Sanierungsträgers "Wohnstatt und Machleidt" sind an der Weitlingstraße zurzeit mehr als 700 der etwa 3500 Wohnungen nicht vermietet, fast 600 davon in unsanierten Altbauten. Die seit 1998 geltende Mietobergrenze für das Sanierungsgebiet soll alteingesessene Mieter schützen und neue Bewohner anlocken. "Damit ist aber programmiert, dass in die leeren Wohnungen Menschen ziehen, die wenig Geld haben", befürchtet Hotelier Jürgen Dubois. Der Vorsitzende der Interessengemeinschaft Weitlingstraße, eines Zusammenschlusses von etwa 30 Gewerbetreibenden, hofft, dass die Weitlingstraße neu entdeckt wird. "Frische Brötchen morgens an der Wohnungstür gehören sicher bald zum Alltagstandard."

Auf individuelle Kundenbetreuung setzt auch Doris Schulz, Besitzerin eines Papierladens. "Kunden, die beraten werden wollen, kommen immer wieder", freut sie sich. Und als hätte er auf das Stichwort gewartet, springt ein junger Mann zur Tür herein. "Termine, Termine, aber ich werde morgen wieder vorbeischauen", wirft er vom Treppenansatz gehetzte Worte in den Laden. Wer würde so etwas in einem Einkaufszentrum tun, fragt Schulz? Persönlich bleibt eben persönlich. Ebenso wie acht weitere Ladeninhaber überlebte Schulz die Zeit der Bauarbeiten jedoch lediglich mit einer Überbrückungshilfe der Senatswirtschaftverwaltung. Schmerzlich bemerkbar macht sich bei den Händlern auch, dass weniger Fernzüge im Bahnhof Lichtenberg halten. "Waren es bis Mitte der 90er Jahre noch rund 250 000 Menschen, die den Bahnhof nutzten, sind es dato nur noch 75 000", sagt Dubois. "Viele machten während des Wartens auf einen Anschlusszug einen Einkaufsbummel."

Mit dem an der Sewanstraße geplanten Einkaufscenter könnte der Kampf um die wenigen Kunden in eine neue Phase gehen. Auf 3500 Quadratmetern Verkaufsfläche sollen zu 90 Prozent Lebensmittel angeboten werden. Der Baubeginn ist noch offen. Die Läden im neu gestalteten Bahnhof Lichtenberg hingegen lassen die Gewerbetreibenden kalt. "Ein Drogeriemarkt oder ein Zeitungswarenladen bedeuten keine Konkurrenz", so Dubois. Die Weitlingstraße ist kein Einzelfall. "Auch die Händler an der Albrechtstraße in Steglitz oder an der Brunnenstraße in Wedding und Mitte leiden unter dem ruinösen Standortwettbewerb", sagt Nils Busch-Petersen, Geschäftsführer des Einzelhandelsverbandes. Doch nicht die Center trieben die Einzelhändler in den Ruin, sondern die Kunden, die den Einzelhandel meiden.

Beate K. Seiferth

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