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Stimmgewaltig. Eine der Teilnehmerinnen in der Sparte Musical beim Vorsingen im UdK-Konzertsaal.

© Stefan Weger

Bundeswettbewerb Gesang in Berlin: Wenn sich die besten Sänger messen

Beim Bundeswettbewerb Gesang treten derzeit wieder die größten Musical- und Chanson-Talente an. Für sie geht es mitunter um viel.

Knapp drei Meter lang und eine halbe Tonne schwer: Der Flügel von Steinway & Sons ist ein imposantes Instrument. Auf der Konzertbühne der Universität der Künste in der Hardenbergstraße scheint der schwarze Koloss an diesem Morgen allerdings zu schrumpfen. Fast verloren steht er am Rand. Die restliche Bühne streckt sich dem Zuschauer nackt und kahl entgegen, nur ein kleiner Lautsprecher ragt an der Kante empor. Wie soll erst eine Person diesen Raum füllen?

„Hallo, ich bin Maria Arnold und ich komme aus Thüringen. Ist hier noch ein Dorfkind im Saal?“ Mit zwei selbstbewussten Sätzen lässt die 28-Jährige die Bedenken verfliegen. In den nächsten fünf Minuten diskutiert sie in rasantem Sprechgesang die Nachteile von Stadt und Land: Anonymität und Burnout hier, „Du, ich und mein Sitzrasenmäher“ dort. Arnold bewegt sich auf der Bühne, als wäre es ihr Wohnzimmer, setzt sich auf die Podiumskante und schaut der Jury gerade ins Gesicht. „Ist ja wie Youtube gucken“, raunt es im Publikum anerkennend. Schließlich reckt Arnold die Arme zu einem letzten „Latte to go“: Das Publikum applaudiert, pfeift und johlt.

Die Entscheidung fällt in mehreren Runden

Maria Arnolds furioser Auftritt eröffnete die Finalrunden des Bundeswettbewerbs Gesang. Seit 1979 findet der jedes Jahr in Berlin statt. Er soll jungen Künstlerinnen und Künstlern helfen, Zugang zu den deutschsprachigen Spielstätten zu bekommen. Insgesamt 76 Teilnehmer aus den Bereichen Musical und Chanson haben sich dieses Mal in den Vorauswahlen qualifiziert, sie kommen aus ganz Europa. Am Mittwoch entschied sich, wer in die zweite Runde kommt, am heutigen Donnerstag und am Freitag dürfen die Glücklichen dann noch einmal vor die Jury treten. Dann folgt die Entscheidung: Die Jury verkündet die Preisträger und Preisträgerinnen.

Mit Begleitung. Viele haben sich Monate auf den Wettbewerb vorbereitet - der kann nämlich Karrieresprungbrett sein.
Mit Begleitung. Viele haben sich Monate auf den Wettbewerb vorbereitet - der kann nämlich Karrieresprungbrett sein.

© Stefan Weger

Zu gewinnen gibt eine ganze Reihe von Preisen, für die höchsten Gesamtwertungen ebenso wie für die beste Klavierbegleitung. Wer sie erhält, darf sich nicht nur über vierstellige Geldbeträge freuen, sondern am Montag auch im Friedrichstadt-Palast auftreten. Moderieren wird Kabarettist und Liedermacher Bodo Wartke, selbst zweifacher Preisträger.

Im Publikum sitzen Intendanten, Regisseure, Theaterleute

Wie wichtig der Bundeswettbewerb für die jungen Künstler sein kann, weiß Jurorin Frederike Haas aus eigener Erfahrung. Die Schauspielerin und Sängerin ist seit Jahren auf Deutschlands Bühnen unterwegs. Sogar im Londoner Westend hat sie schon gespielt. „Der Wettbewerb hat mich in meinem Weg sehr bestärkt, indem ich auch von außen die Rückmeldung bekommen habe: Okay, das funktioniert“, erzählt die Gewinnerin von 1993 und 1997. „Die Teilnehmer lernen sich selbst besser kennen: Wie gehe ich mit Stress um, was kann ich in dieser Situation von meinem Programm umsetzen oder nicht?“

Auch ganz praktisch können Auftritte bei den Finalrunden und beim Preisträgerkonzert zum Sprungbrett werden, glaubt Haas. „Intendanten, Regisseure und andere Theaterleute kommen und suchen junge Talente. Gerade für die Hochschulabsolventen ist das oft ein Einstieg in erste Engagements.“

Haas und ihre Jurykollegen sind während des Wettbewerbs von Publikum und jungen Talenten getrennt. Sie sitzen in einem eigenen Raum, den Konzertsaal betreten sie durch einen separaten Eingang. Das soll Einflussnahme auf die Jury erschweren, umgibt die Runde aber auch mit einer unnahbaren Aura.

Klassentreffen als Konkurrenzgehabe. Im Backstage ist die Stimmung gut, man unterstützt sich.
Klassentreffen als Konkurrenzgehabe. Im Backstage ist die Stimmung gut, man unterstützt sich.

© Stefan Weger

Manche Teilnehmer sind seit Jahren im Beruf, andere stehen am Anfang

Ganz anders ist die Stimmung im Backstagebereich. An den Wänden hängen signierte Konzertplakate, von denen Bodo Wartke die Wartenden gleich mehrfach anlächelt. „Ich komm nicht von dir los“, trällert ein kräftiger Bariton aus der Toilette. Lautsprecher geben das Geschehen im Saal wieder, aus dem Probenzimmer klingt Klavier. Im Pausenraum und auf dem Gang stehen die Kandidatinnen und Kandidaten grüppchenweise, tratschen und essen den letzten Apfel vor dem Auftritt. Wer die Feuertaufe überstanden hat, wird mit Umarmungen und Lob überschüttet: Klassentreffen statt Konkurrenzgehabe.

Auch im Saal ist die Atmosphäre gelöst, bisweilen sogar euphorisch. Viele Freunde und Kommilitonen der Bewerber sind gekommen und füllen die Reihen. Die Gags von der Bühne werden mit Lachern und Pfiffen honoriert, außerordentliche Stimmleistungen begeistert beklatscht. Auch viele Teilnehmer setzen sich nach ihrem Auftritt ins Publikum. „Jeder, der hier im Saal sitzt, ist super interessiert und möchte wissen, was als Nächstes passiert“, sagt Felix Rabas, als er sich nach seinem Auftritt im Foyer ausruht. Bei der Stimmung habe ihm sein Auftritt einfach Spaß gemacht.

Das Teilnehmerfeld ist gemischt. Manche verdienen seit Jahren ihr Geld mit Musik, manche sind mitten im oder sogar noch vor dem Studium. Wer hier überzeugen will, muss sich beweisen. „Zur Vorbereitung habe ich mit meinem Klavierbegleiter geübt und Gesangsunterricht genommen, mich schauspielerisch weiterbilden lassen und getanzte Teile meines Auftritts mit einer Choreografin entwickelt“, berichtet Laura Saleh, wie Felix Rabas Teilnehmerin in der Drei-Rollen-Sparte Musical.

Voller Einsatz. Auch Choreographien gehören mitunter zu den Beiträgen im Wettbewerb.
Voller Einsatz. Auch Choreographien gehören mitunter zu den Beiträgen im Wettbewerb.

© Stefan Weger

"Ich mach hier mit, weil: ich brauch das Geld"

Freier sind die Chanson-Interpreten. Während der ausgebildete Opernsänger Max Dollinger mit Hemd, feiner Hose und herausragender Stimmarbeit einen eher seriösen Chanson vertritt, tendieren die meisten Mitbewerber in Richtung Musikkabarett. Viele Stücke sind sogar selbst komponiert, ihr Inhalt ist oft politisch.

Beim Publikum verfängt besonders die Anarcho-Nummer von Hardy Punzel. „Ich mach hier mit, weil: ich brauch das Geld“, singt der Jogginghosenträger und lässt Auszüge aus den Teilnahmebedingungen des Wettbewerbs, seine letzten Tourpläne und Details zum Auskommen von Musicaldarstellenden folgen. Kommen soll das Geld natürlich „vom BWG“, also vom Bundeswettbewerb Gesang, trällert Punzel am Ende in Richtung Jury. Ob das klappt? Im Friedrichstadt-Palast wird man es hören.

Abschlusskonzert am Montag, 2. Dezember, um 20 Uhr im Friedrichstadt-Palast statt. Tickets gibt es ab 18 Euro unter www.palast.berlin.de.

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