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Berlin: CDU-Kandidat geht auf Vorwahlsafari

Mitte. „Guten Tag, mein ist Volker Liepelt, und ich möchte mein Bewusstsein erweitern“, sagt der Kandidat zu den verblüfften Mitarbeiterinnen der Hauptbibliothek Mitte in der Brunnenstraße.

Mitte. „Guten Tag, mein ist Volker Liepelt, und ich möchte mein Bewusstsein erweitern“, sagt der Kandidat zu den verblüfften Mitarbeiterinnen der Hauptbibliothek Mitte in der Brunnenstraße. Es ist Freitagnachmittag, knapp vier Monate vor der Bundestagswahl, und CDU-Urgestein Volker Liepelt möchte das Direktmandat für seine Partei im Wahlkreis Mitte holen. Er war für Eberhard Diepgen eingesprungen, nachdem der die weiße Flagge gehisst hatte. Nun absolviert Liepelt gerade einen von 13 „Kiezspaziergängen“, damit er seinen Wahlkreis besser kennen lernt und der Wahlkreis ihn. Begleitet wird der Kandidat diesmal von einem knappen Dutzend Parteigänger des Ortsverbandes Rosenthaler Platz, die sich auch das Programm ausgedacht haben: Bibliothek, Mittelständler, Theater, Restaurant.

Volker Liepelt trägt einen grauen Anzug plus blaue Krawatte. Die Kleiderordnung im Ortsverband reicht vom Schlabberpulli über eine farbenfrohe Krawatten-Turnschuh-Kombination bis zum ausgeleierten T-Shirt. Liepelt unterscheidet sich nicht nur äußerlich von seiner Entourage. Ihm fehlt auch deren Geschwätzigkeit; er fällt niemandem ins Wort, sondern hört den Frauen in der Bibliothek schmallippig und aufmerksam zu. Die wissen von einer halben Million Ausleihen im Vorjahr zu berichten und fragen sich jetzt, ob sie 2002 überhaupt Geld für ein paar neue Bücher bekommen. Ob auch viele Bundesbedienstete hierher kämen, will Liepelt wissen. Die Frauen bejahen, der Kandidat kündigt für den Fall seiner Wahl eine Initiative zur Novellierung des Hauptstadtvertrages an, damit der Citybezirk mehr Geld bekommt. „Das wird meine zweite Initiative“, sagt Liepelt. Als Erstes will er die Bürokratie entrümpeln.

Die Bibliothek ist über drei Etagen geschickt um einen alten Hinterhof gebaut. Man könnte lange hier bleiben, aber Liepelt muss weiter, denn am nahen Zionskirchplatz wartet Bauunternehmer Sascha Monath auf ihn. Auf dem Fußmarsch dorthin stoppen ihn immer wieder seine Begleiter vom Ortsverband, um ihn auf besondere Häuser, Inschriften oder Hundekot aufmerksam zu machen.

Sascha Monath schwärmt gleich auf der Türschwelle von dem Kiez, um den sich die Baulöwen ebenso rissen wie die Mieter. Zehn Minuten bis zum Regierungsviertel, top sanierte Häuser und sogar noch ein Tante-Emma-Laden, in dem Monath immer „wunderbare Königsberger Klopse“ isst.

Der Laden ist gleich um die Ecke in der Wolliner Straße. Tante Emma heißt in diesem Fall Renate Kleinau und ist eine zarte Person mit großen freundlichen Augen. Sie könne ihren Laden noch halten, weil viele Leute zum Mittagessen herkämen, eine Menge alter Stammkunden sie nicht im Stich ließen und weil sie oft von morgens halb sechs bis 18 Uhr arbeite, sagt sie. Liepelt nickt, kauft unter großer Anteilnahme des Ortsverbandes ein Hörnchen, reicht 60 Cent und ein Wahlwerbeblatt über den Tresen und empfiehlt sich. Frau Kleinau lächelt ihm nach und knifft unsicher das DIN-A4-Blatt. Draußen wirbelt ein Regenschauer heran und Bauunternehmer Monath gerät erneut ins Schwärmen. Schatzmeisterin Margitta Rodtmann lässt Liepelt unter ihren Schirm kriechen; die anderen achten darauf, dass der Kandidat nichts übersieht.

Am Abend wird Volker Liepelt resümieren, dass der Kiezspaziergang und ganz besonders die Bibliothek „äußerst informativ“ gewesen seien. „Es macht einen ja auch im Wahlkampf sicherer, wenn man sich auskennt.“ Liepelt tritt gegen die PDS-Hoffnung Stefan Liebich und den Sozialdemokraten Jörg-Otto Spiller an. Die Ausweichroute über die Landesliste gibt es für ihn nicht. Sollte er scheitern, will der Betriebswirt zurück in die Wirtschaft. Dabei wäre er bald sicher auch ein guter Stadtführer.Stefan Jacobs

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