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Berlin: Cowboyhüte und andere Produkte schlechten Geschmacks - der 45-jährige Amerikaner macht nicht nur Kunst, er schreibt auch drüber

Peinlich berührt hängt der junge Mann den riesigen Cowboyhut wieder zurück auf den Haken und verschwindet flugs durch den Vorhang aus der Kabine. Irgendwie muss er das Anprobieren der Kopfbedeckung mit etwas Unanständigem in Zusammenhang gebracht haben.

Peinlich berührt hängt der junge Mann den riesigen Cowboyhut wieder zurück auf den Haken und verschwindet flugs durch den Vorhang aus der Kabine. Irgendwie muss er das Anprobieren der Kopfbedeckung mit etwas Unanständigem in Zusammenhang gebracht haben. Immerhin steht in der Beschreibung des Kunstobjektes etwas von "quasi-phallischen Dimensionen", und der Titel "Hard Hat" führt sicher zu einigen Vergleichen. John Miller, der die Spiegelkabine mit den zwei ausladenden pinkfarbenen Filzhüten zusammen mit dem Wiener Richard Hoeck in den Kunst-Werken gestaltet hat, geht jedoch gentlemanlike über jede Anzüglichkeit hinweg. Diese Hutexemplare würden jedem stehen, behauptet er, nachdem er erst mal das Gestell mit den beiden Filzmonstruen wieder in die richtige Ecke gerückt hat. Er greift sich einen Cowboyhut und setzt ihn auf. Imposant. Wer so was trägt, gewinnt augenblicklich an Größe.

Miller überall: Nicht nur in Berlin, auch in Grenoble ist seine Kunst derzeit zu sehen. "Unanständig und vulgär" seien seine Werke, schreibt Nancy Spector im Katalog zu Millers Einzelausstellung im "Magasin" von Grenoble (noch bis zum 5. September). Der amerikanische Künstler wage es, schlechten Geschmack zur Schau zu stellen, indem er die krassesten Installationen konstruiere und mit erbarmungslos pubertärem Humor daherkomme. Damit bezieht sie sich auf die "braune Phase" Millers, die ihn in den achtziger Jahren bekannt gemacht hatte. Serienmäßig überzog Miller damals seine Werke mit kackbrauner Farbe, um noch mehr "Scheisskunst" zu produzieren. Er werde noch immer mit diesen Arbeiten identifiziert, erklärt der 1954 in Cleveland, Ohio geborene Künstler. Dabei beschäftigt er sich zur Zeit mit ganz anderem Mist: Fernsehproduktionen.

Einige Schritte von der Hutkabine entfernt, hängt Millers Acrylbild "Double Stage", ein Screenshot aus dem TV-Programm, digital bearbeitet und auf Leinwand übertragen. Das Bild gehört in die Serie seiner Auseinandersetzung mit diesem "elektronischen Herd", wie Miller es bezeichnet, vor dem sich täglich die Familie versammelt. "Unanständig", "frech" oder gar "böse" wie viele seiner Arbeiten wirkt Miller selbst überhaupt nicht. Eher nachdenklich. Doch dann ist da das jungenhafte Lachen, das den intellektuellen Künstler plötzlich herrlich albern wirken lässt. 1991 kam John Miller mit einem DAAD-Stipendium nach Berlin, anschließend hat er sich mit seiner Frau Aura Rosenberg und Tochter Carmen in einer Atelierwohnung der Kunst-Werke eingemietet.

Ob sich das auf seine Kunst ausgewirkt hat? "Teilweise schon", erklärt Miller. "Als ich nach Berlin kam, arbeitete ich gerade mit diesen braunen Impasto-Motiven, ich machte monochrome Arbeiten. Alles in Deutschland schien einerseits gleich zu sein, aber trotzdem anders. So wurde ich sehr empfänglich für die Eigenschaft der Dinge, das war vielleicht die erste Veränderung." Ein Drittel des Jahres verbringt Miller mit seiner Familie in Berlin, die anderen zwei in New York, wo er seit 1998 an der Yale University lehrt. "Die New Yorker Kunstszene ist viel mehr auf den freien Markt orientiert, mehr privatisiert, in Deutschland hat das Sammeln von Kunst eher eine öffentliche Dimension. Sehr wenig Geld geht in den Staaten an Künstler persönlich, während in Deutschland auch selbst nach den vielen Kürzungen viel mehr finanzielle Unterstützung für Einzelne geleistet wird." Die Amerikaner seien der Kunst gegenüber skeptischer, in Deutschland herrsche die Tendenz, Kunst als positiven Wert zu betrachten. "Manchmal ist es gut, Kunst als das zu sehen, was es auch sein kann, potentiell repressiv, reaktionär, selbst wenn es in avantgardistischem Outfit kommt."

Sein Kunststudium absolvierte Miller in Los Angeles, 1978 nahm er an einem Studienprogramm beim Whitney Museum of American Art in New York teil und kehrte nach einem weiteren Studienaufenthalt an der Westküste dorthin zurück. Zu dieser Zeit stellten die meisten New Yorker Galerien noch ältere, etablierte Künstler aus, und seine Generation betätigte sich in Randbereichen, machte Filme und Musik. Miller spielte selbst in einer Band, bis ihm schließlich die Gitarre gestohlen wurde. So hat er es jedenfalls schwarz auf weiß behauptet. Miller lacht. Das sei eine ironische Art, den Vorgang zu erklären. In den achtziger Jahren wurde die Punkmusik professioneller, und für Miller war klar, er würde kein Berufsmusiker werden. Die neue Gitarre hätte eine unverhältnismäßig große Investition bedeutet, er verlegte sich mehr und mehr aufs Schreiben. Seit 1977 gibt es eine lange Liste von Millers kulturkritischen Aufsätzen. Wirkt sich die intensive theoretische Auseinandersetzung auf seine Spontaneität aus? "Es ist ein Hin und Her, die Theorie beeinflusst natürlich die Arbeiten. Ich denke, bei jedem Künstler ist das eine vielschichtige Mischung", erwidert Miller. "Auch wenn die Kunst selbst nicht vielschichtig ist", fügt er dann lachend dazu.

Die Ausstellung in Grenoble zeigt eine ausführliche Zusammenfassung von Millers Arbeiten: Frühe Zeichnungen aus den Jahren 1979 bis 82. Landschaftsbilder des amerikanischen Südwestens (die 1996 auch als "Hommage an Karl May" in der Berliner Galerie Barbara Weiß ausgestellt waren). Kitschobjekte und Figuren, die an Jeff Koons erinnern. Fotos, in mehreren Großstädten um die Mittagszeit aufgenommen, wenn die Sonne ihr Licht erbarmungslos direkt auf die menschlichen Aktivitäten wirft. Screenshots aus dem Fernsehen, digital bearbeitet und als Acrylbilder wiedergeboren. Wie geht es weiter? In früheren Arbeiten, vor allem in den Bildern der mystifizierten Landschaft des Südwestens und den Abbildungen von TV-Shows klingt das Thema bereits an. Miller will in Zukunft die New-Age-Bewegung und ihre Ideale wie zum Beispiel das "wahre Ich" unter die Lupe nehmen. "Eine Figur, die mich in diesem Zusammenhang interessiert, ist Alan Ginsberg, der in gewisser Weise als Vater des New Age gesehen werden kann. Er ist eine interessante Persönlichkeit, weil ich denke, dass er sowohl politische Aktivität wie auch Zurückhaltung präsentiert. New Age ist politisch quietistisch, aber Alan Ginsberg demonstrierte für Umwelt, Homosexuellenrechte, gegen Krieg, solche Dinge. Mich interessiert, das ganze New-Age-Phänomen durch ihn zu sehen. In die Richtung geht es jetzt."John Millers Installationen "Hard Hat" (zusammen mit Richard Hoeck) und "Double Stage" sind bis 15. 9. bei den Kunst-Werken zu sehen, Auguststr. 69 (Mitte). Mo-Do u. So 12-18 Uhr, Fr u. Sa 12-21 Uhr

Constanze Suhr

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