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Der Planet braucht neue Lösungen. Die Bürokratie muss sich ändern, damit sie gefunden werden können.

© obs/INTERGEO/HINTE GmbH

Creative Bureaucracy Festival: Bürokratie muss jetzt kreativ werden

Wir müssen die Welt so organisieren, dass sie zu den Gegebenheiten des Jahres 2020 passt. Ein Gastbeitrag vom Schöpfer des Creative-Bureaucracy-Gedankens.

Sorgen über Sorgen, wohin man schaut: So ist der Zeitgeist! Aber unsere wachsenden Probleme werden nicht ohne einen Bewusstseinswandel zu bewältigen sein. Es ist offensichtlich, dass wir mitten in einer systemischen Krise stecken und dass uns ein Weiter-so nicht ans Ziel bringen wird. Auch in der öffentlichen Verwaltung nicht.

Man hat es während der Industriellen Revolution gesehen, aber auch bei den technologischen Umbrüchen der vergangenen 50 Jahre: Historische Phasen des tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels können kollektive Zustände der Verunsicherung auslösen. Heutzutage kann man zwar ein Gefühl der allgemeinen Befreiung spüren: Es speist sich aus der disruptiven Kraft des Digitalen und den dadurch bedingten neuen Formen der Kommunikation. Auf der anderen Seite ist auch das Gefühl der Ohnmacht verbreitet, weil viele Ereignisse sich unserer Kontrolle entziehen.

So erleben wir das Entstehen einer neuen Wirtschaftsordnung, die materiell zwar expandiert, aber sozial spaltet, neue Ungleichheit produziert – und die Umwelt zerstört. Wirtschaft muss sich auf einem schmalen Grat entfalten und zugleich Chancen bieten, um Wohlstand und Innovationen zu ermöglichen.

Traditionelle hierarchische Ansätze bieten kaum Lösungen

Je schwerwiegender die Probleme der Welt sind, desto stärker und drängender muss es Aufgabe einer Bürokratie sein, nach Ausgleich und Fairness zu streben. Nehmen wir als Beispiel das Problem einer alternden Bevölkerung, die einem öffentlichen Dienst gegenübersteht, der immer weniger Ressourcen hat, die nötige Pflege zu organisieren – oder bezahlbaren Wohnraum oder überhaupt öffentlichen Raum. Hinzu kommen die neuen Migrationsströme und die damit einhergehende Angst und Ungewissheit sowie die gefährlichen Antworten eines Populismus, der die Welt allein in "Patrioten" und "Globalisierer" einzuteilen versucht.

Charles Landry beim Creative Bureaucracy Festival 2018.

© Thilo Rückeis

Wir operieren also in einem Umfeld mit vielen üblen Problemen, viele davon tangieren gleich mehrere Politikfelder. Einige sind anscheinend derart hartnäckig und voll von sich gegenseitig bedingenden Dilemmata, verwoben mit politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen, dass sie sich nicht mit traditionellen Herangehensweisen in den Griff kriegen lassen. Das sture und chronologische Abarbeiten von Aufgaben führt hier nicht zum Ziel.

Traditionelle hierarchische Ansätze bieten kaum Lösungen. Zudem gibt es oft auch nicht den definitiven, einzig richtigen Blickwinkel auf ein Problem, denn unterschiedliche Stakeholder sehen das Problem und die Lösung naturgemäß unterschiedlich – und das oft mit ideologischen Scheuklappen. Hinzu kommt: Daten für eine Entscheidungsgrundlage sind zu oft zu ungenau, schwer zu bekommen oder gar nicht vorhanden. Oder sie sind ganz anderen Fragestellungen zugeordnet, und jede Teillösung offenbart zunächst neue Aspekte, die eine Anpassung der ursprünglichen Fragestellung nötig machen.

Es kann ein gewaltiges kreatives Potenzial freigesetzt werden

Kurzum: Am Ende stehen wir vor einer systemischen Herausforderung. Nehmen wir uns dieser an, kann ein gewaltiges kreatives Potenzial freigesetzt werden.

Die derzeitigen Verwaltungsstrukturen, mit denen Regierungen arbeiten, tendieren dazu, jedes Problem einzeln anzugehen. Arbeitslosigkeit, Energieversorgung, Wasser, Lebensmittel, Klima, Armutsbekämpfung, Kultur, Diversität: Jedes Thema wird von einer jeweils anderen Abteilung oder Agentur bearbeitet und jedes Thema wird von seiner eigenen Expertengruppe betreut. Das erhöht das Risiko, dass sich Politikansätze kannibalisieren, da die Lösung eines speziellen Problems auf Kosten eines anderen Politikfeldes gefunden wird.

Wir müssen die Welt endlich so organisieren, dass sie zu den Gegebenheiten des Jahres 2020 passt. Das bedeutet: Märkte müssen das große Ganze in den Blick nehmen. Dafür braucht es eine Bürokratie, die all ihre ethischen, kreativen und intellektuellen Schätze hebt und Anspruch auf eine Führungsrolle erhebt – aber in einem zeitgemäßen Rahmen. Dazu müssen wir unsere Köpfe zusammenstecken und Behörden müssen überdenken, wie sie Dinge angehen und zugleich Prinzipien wie Transparenz und Verteilungsgerechtigkeit hochhalten. „Kreativität“ und „Bürokratie“ sind zwei Worte, die in einem Spannungsverhältnis zueinander zu stehen scheinen. Zumindest denken das viele Leute. Wir müssen letztgenannten Begriff wieder mit positiven Attributen aufladen – wie etwa „freundlich“, „modern“ und „innovativ“. Es wäre ein Signal an alle Staatsbediensteten, dass auch sie erfinderisch und effektiv arbeiten können. Das würde auch die Jungen motivieren, Dinge zu verändern.

Das Innenleben und die Arbeitsrealitäten einer Behörde müssen so gestaltet sein, dass es Mitarbeitern leichtfällt, ihr Bestes zu geben und ihr verstecktes Talentreservoir anzuzapfen. Und es gilt Vertrauen zurückzugewinnen, indem Behörden neue Verbindungen in die zivile und geschäftliche Welt knüpfen. Dies sind einige Antworten auf das Bedürfnis vieler, die eine Verschiebung von einer repräsentativen Demokratie hin zu einer Demokratie mit deutlich mehr partizipativen Elementen verlangen. Der Aufstieg der Bürgerinitiativen ist ein Ausdruck dieser Entwicklung.

Die Kreativität seiner Bürokratie macht ein Land erfolgreich

Sollten wir es schaffen, mehr Beweglichkeit in den Bürokratenapparat zu bringen – auch mithilfe der Digitalisierung und aller interaktiven Beteiligungsformen, die diese ermöglicht –, können wir Probleme auf ganz neue Art lösen. Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen der Kreativität einer Bürokratie und dem Erfolg eines Landes oder einer Kommune. Es ist unmöglich, einen ökonomisch und sozial erfolgreichen Ort zu gestalten ohne eine innovative und engagierte Bürokratie. Das impliziert eine Verschiebung von einer „Nein, weil…“ hin zu einer „Ja, wenn…“-Kultur, die alle Möglichkeiten und Potenziale einfängt.

Der Autor ist gemeinsam mit Margie Caus Verfasser des Buches „The Creative Bureaucracy & its Radical Common Sense“, 2017 erschienen auf 84 Seiten, in englischer Sprache als Taschenbuch erhältlich für 14,47 Euro. ISBN: 1908777087.

Das Creative Bureaucracy Festival findet am 20. und 21. September in der Humboldt-Universtität zu Berlin in Mitte statt. Weitere Informationen gibt es hier: www.creativebureaucracy.net.

Jahrzehnte der Reformen, meist waren es technokratische, haben bei Offiziellen vor allem Ungewissheiten und Zweifel an der Legitimität ihrer Rolle produziert. Dieses Pendel ist zu weit ausgeschlagen. Bürokraten müssen ihr Arbeitsfeld zurückerobern. Dafür braucht es weniger technologische Innovationen als vielmehr einen Kulturwandel und soziale Innovationen.

Charles Landry

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