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Berlin: Das Asyl der Reinlichen

Joseph Roth im Jahre 1921 über das Bad im Admiralspalast

(…) Wer kein Hotelzimmer findet, geht ins Dampfbad. Eine Nacht kostet zwanzig Mark. Für diesen Preis hat man sich sozusagen reingeschlafen und ausgeschwitzt. Man müßte über dem Dampfbad ein Motto anbringen. Etwa: „Durch Schweiß zum Licht!“

Von dem nahegelegenen Bahnhof Friedrichstraße kommen gegen Mitternacht Reisende mit Koffern. Von ergebnislosen Wanderungen durch die Hotels der Stadt zurückgekehrt, atmen die Menschen Erlösung vor dem Eingang ins Bad. Es ist langsam eine notwendige Institution dieser Großstadt geworden! Es fördert und reinigt den Fremdenverkehr.

Der groteske Anblick eines nächtlichen Heißluftzimmers, in dem sechzehn splitternackte Obdachlose den Kohlenruß einer Eisenbahnfahrt auszudünsten bestrebt sind, erweckt infernalische Vorstellungen. Es ist wie eine Illustrationskette zu Dantes Rekognoszierungsfahrten in der Unterwelt. Der kraft höherer Weisungen einzig Bekleidete und seiner Schrubberpflicht Vollbewußte, der dräuend mit Folterfaust und Frottierinstrument griffbereit dasteht, könnte ganz gut ein Diener der Unterwelt sein, wüßte man nicht, daß sein Höllencharakter sich lindert, wenn zum Schluß nach überstandener Buße ein Trinkgeld seinen wahren Beruf offenbart.

Ich weiß nicht, ob die Menschen auch in der Hölle so lächerlich sind. Wenn auch unten die Sitte besteht, sie nackt auszuziehen, dann sind sie es trotz der Tragik sicherlich. Ich glaube, daß die mitternächtliche Zeit die an und für sich komische Nacktheit der Menschen noch verstärkt. So grotesk ist die Vorstellung, daß jemand in der Zeit zwischen zwölf und zwei Heißluft genießen will.

Irgendwer macht mit schlottrigen Gelenken, die aussehen, als wären sie mit Zwirnfäden probeweise zusammengeheftet, in einem Bassin Schwimmübungen, eine ganze nächtliche Stunde hindurch. Der andere, der dick ist und der zum Festhalten seines Bademantels sich eigens von der Erde den Äquator borgen müßte, sieht mit grauenhaft schadenfroher Miene dem Gelenkschlottrigen zu, bis ihn selbst fröstelt und er beschließt, sich im heißen Bassin die durch den Anblick des Schwimmenden verlorengegangene Wärmeenergie zuzuführen. Er tappt vorsichtig mit dem rechten Fuß hinein, es ist ihm doch zu heiß, ich glaube, er möchte gerne sehen, wie er schreitet – aber sein Bauch ist nicht aus Glas.

Das Schlafzimmer sieht aus wie ein ausgehöhltes Polygon aus der Geometrie. Die Sofas sind klein, niedrig und zahlreich. Sie stehen da wie absichtslos, als hätte man sie gerade noch nur hier aufbewahren können. Die Frottierten versuchen, sich auf den Sofas Ruhe zu holen. (…)

Aus: Joseph Roth: Im Dampfbad bei Nacht, in: Werke 1, Das Journalistische Werk 1915-1923, Kiepenheuer und Witsch, Köln 1998.

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