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Berlin: Das Getränk der Denker

Kaffee regt an, vor allem den Kopf. Hat er den Gang der Geschichte beeinflusst?

Die Londoner Frauen waren empört. Und tief besorgt: Stand nicht die Menschheit vor dem Aussterben? Jedenfalls sahen sie sich genötigt, 1674 in einer öffentlichen Petition vor dem neuen, „schwächenden und austrocknenden“ Getränk zu warnen, das ihre Männer so unfruchtbar mache „wie die Wüsteneyen, aus denen diese unglückselige Frucht herkommt“. Im gleichen Atemzug forderten die Frauen die Schließung der Kaffeehäuser, denn dort verbrachten die Männer ihre Abende, statt sich zu Hause ihren Frauen und dem Fortbestand der Menschheit zu widmen.

Es nützte nichts. Um 1700 brummten in London die Kaffeehäuser nur so, rund 3000 soll es gegeben haben: Sie waren Treffpunkte und Nachrichtenbörsen, hier hielten Gelehrte Vorträge, Künstler gaben Konzerte, Geschäftsleute, Aktienhändler und Versicherungsagenten trafen sich. Mit noch heute spürbaren Folgen: Sowohl die Londoner Börse als auch das Versicherungsunternehmen Lloyds sind aus Kaffeehäusern hervorgegangen.

Hat der Kaffee die Europäer auf Trab gebracht? Ein englischer Zeitgenosse schrieb: „Es ist erwiesen, dass Kaffee die Völker nüchtern macht. Während Handwerker und Kaufmannsgehilfen früher Ale, Bier und Wein als Morgentrunk genossen und sich dadurch einen dumpfen Kopf holten, haben sie sich jetzt an diesen wach machenden bürgerlichen Trank gewöhnt.“ Biersuppe zum Frühstück war auch in Deutschland lange üblich – der Kaffee weckte viele Europäer aus dem Dauerrausch. Das kam besonders der bürgerlichen Schicht entgegen, die danach strebte, mit klarem Kopf zu arbeiten. Vielleicht war der Wachmacher sogar ein Aufwiegler – und in der braunen Bohne steckt revolutionäres Potenzial (siehe Interview auf dieser Seite).

Sicher ist: Kaffee regt an, bringt Menschen zusammen – und dass beim Zusammensein bis spät in die Nacht auch revolutionäre Ideen entstehen, ist nachvollziehbar. Kaffee ist möglicherweise nur deshalb entdeckt worden, weil er aufstachelt: Der Überlieferung nach sollen äthiopische Hirten auf die Kaffeekirschen aufmerksam geworden sein, weil ihre Ziegen daran knabberten und anschließend aufgekratzt herumhüpften. Die Äthiopier dürften um 1000 n. Chr. begonnen haben, die Bohnen zu rösten und mit heißem Wasser aufzugießen. Von Äthiopien aus, wo bis heute Kaffeezeremonien abgehalten werden, gelangte der Kaffee im 15. Jahrhundert nach Jemen und verbreitete sich später im ganzen Osmanischen Reich.

Dort lernten europäische Reisende ihn kennen. „Sie haben ein Getränk, das ist schwarz wie Ruß und schmeckt auch nicht viel anders“, berichtete ein Engländer 1610 aus Palästina. Wenig später gelangten die ersten Säcke mit Kaffeebohnen nach Venedig. Zunächst allerdings war der Kaffee teuer und nur für die oberen Schichten zu haben. Aber schon 1734 ließ Johann Sebastian Bach in seiner „Kaffee-Kantate“ einen Vater über die Kaffeesucht seiner Tochter klagen. Und die Obrigkeiten in deutschen Landen fühlten sich bemüßigt, dem Volk den Kaffee zu verbieten, damit weniger Geld ins Ausland floss. Ihre Appelle – „Eure Väter, deutsche Männer, tranken Branntwein und wurden bei Bier wie Friedrich der Große aufgezogen. Dies wollen wir auch“ – nützten auf Dauer ebenso wenig wie die Petition der Londoner Frauen ein Jahrhundert zuvor. Der Kaffee war in Europa angekommen. Für immer.

Der Historiker Tom Standage schreibt in seinem neuen Buch „Sechs Getränke, die die Welt bewegten“ ausführlich über die Londoner Kaffeehäuser (Patmos Verlag, 2006). Die nächste Folge dieser Serie – Zucker – erscheint am 6. Dezember.

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