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Berlin: „Das ist eine Kulturrevolution“

Am Donnerstag wird das neue Schulgesetz verabschiedet: Für Senator Klaus Böger sind Qualitätskontrolle und Deutschprüfungen vor der Einschulung zentrale Stichworte

2004 soll für die Schulen ein Jahr der Reformen sein. Gleichzeitig ist die Stimmung schlecht durch mehr Pflichtstunden, Gehaltskürzungen und zusätzliche Vertretungsstunden, weil alle Lehrer durch die Arbeitszeitverkürzung zwei zusätzliche freie Tage haben. Wie soll da noch Lust auf Reform aufkommen?

Was wir vorhaben, ist eine Kulturrevolution in der Schule. PISA zeigt, dass wir Veränderung brauchen. Und ich bin davon überzeugt, dass die überwiegende Zahl der Lehrer, Eltern und Schüler Lust auf Reformen haben. Deshalb teile ich nicht Ihre Einschätzung. Außerdem treten doch nicht gleichzeitig alle Reformen in Kraft, wenn das Schulgesetz beschlossen wird. Die Einführungsphasen lassen genug Zeit. Ich kann diese Beschwerden deshalb nicht mehr hören. Außerdem haben wir zurzeit eine erhebliche Vertretungsreserve.

Auch auf Familien kommen viele Veränderungen zu. Ab wann gilt die Einschulung mit fünfeinhalb Jahren?

Mit dem Schuljahr 2005/2006 sind Kinder, die bis zum 31. Dezember 1999 geboren sind, im kommenden November anzumelden. Dann wird bei ihnen eine Sprachstandsdiagnose gemacht. Wer das sprachliche Niveau nicht hat und wer nicht im Kindergarten ist, besucht bereits ein halbes Jahr vorher einen verbindlichen Deutschkurs in der künftigen Schule. Das gibt es sonst nirgendwo in Deutschland.

Kann man abschätzen, wie viele Kinder an diesem Kurs teilnehmen werden?

Zur Zeit besuchen knapp sechs Prozent der ausländischen Kinder weder eine Vorklasse noch einen Kindergarten. Das sind rund vierhundert Kinder. Wir gehen davon aus, dass ein großer Teil insbesondere dieser Kinder einen Sprachkurs werden besuchen müssen.

Sie wollen die Reform kostenneutral umsetzen, trotz früherer Einschulung, Sprachkurs und zusätzlichem Unterricht. Wie soll das gehen?

Das geht natürlich nicht kostenneutral. Aber für den Senat hat Bildung Priorität, und deshalb stehen 1040 Stellen zusätzlich für die Schulreformen zur Verfügung. In der Finanzplanung berücksichtigt sind die frühere Einschulung, der Ausbau der Ganztagsgrundschulen und mehr naturwissenschaftlicher Unterricht in den Klassen 5 und 6. Die Unterstützung von Schulen mit einem hohen Anteil nichtdeutscher Schüler wird weiter verbessert.

Die Vorklassen sollen ab 2005 wegfallen. Sind die Kindertagesstätten darauf vorbereitet, diese Aufgaben zu übernehmen?

Ja, denn es gibt keinen qualitativen Unterschied zwischen der vorschulischen Erziehung der Vorklassen und der Kindertagesstätten. Zumindest zeigen das die Ergebnisse der Sprachuntersuchung „Bärenstark“, wo die Vorklassenkinder kaum besser abschneiden als die Kita-Kinder. Im Übrigen spricht gegen die Vorklasse, dass die Kinder dort nur bis mittags betreut sind. Das lässt sich mit der Berufstätigkeit der Eltern doch gar nicht vereinbaren.

Es besteht die Gefahr, dass die 40 Prozent ausländischer Kinder, die jetzt eine Vorklasse besuchen, künftig zu Hause bleiben, weil Kitas – anders als Vorklassen – nicht kostenlos sind.

Nein, nach der neuen Regelung kommen ja alle Kinder ein halbes Jahr früher in die Schule. Der Senat hat außerdem bewusst darauf verzichtet, die Kita-Gebühren für niedrige Einkommensgruppen zu erhöhen. Das Geld kann kein Argument sein. Wenn es uns nicht gelingt, bei Migranten das Bewusstsein stärker zu vermitteln, dass vorschulische Erziehung, dass Bildung der entscheidende Faktor für die Integration ist, dann werden wir im Kampf um die Migrantenkinder scheitern.

Gehört zu diesem Kampf auch die Frage des Kopftuchs?

Das Kopftuch ist ein wichtiger Punkt im Kampf um die Integration. Das Kopftuch ist ein politisches und religiöses Signal mit gesellschaftspolitischer Ausstrahlung. Deshalb bin ich der Auffassung, dass es bei Lehrerinnen und Erzieherinnen fehl am Platz ist.

Wie wollen Sie Migranten stärker für die Bildungsbelange ihrer Kinder interessieren?

Wir machen jetzt mit dem Arbeitskreis Neue Erziehung, mit dem türkischen Fernsehen und türkischen Elternvereinen wieder eine Informationskampagne für Migranteneltern, damit sie begreifen, wie wichtig die Bildung ihrer Kinder ist. Die Mütterkurse sind dafür auch sehr wichtig. Und mit dem neuen Einwanderungsgesetz wird es mehr Geld für Sprachkurse geben. Aber selbst wenn diese Eltern die Kita nicht annehmen: Durch die Pflichtsprachkurse und die vorgezogene Einschulung können wir die benachteiligten Kinder ein ganzes Jahr früher fördern.

Reicht das alles, um die Sprachprobleme in den Griff zu bekommen?

Das hoffe ich. In den vorschulischen Einrichtungen wird es Sprachlerntagebücher geben und am Ende der zweiten Klasse für alle Kinder einen Sprachdiagnosetest. Wenn sich dann herausstellt, dass die Sprachkenntnisse nicht ausreichen, bleibt das Kind noch ein drittes Jahr in der Schulanfangsphase, die mit dem neuen Gesetz gleitend eingeführt wird.

Wie kann das Gesetz die Lernergebnisse verbessern?

Wir erhalten erstmals eine rechtliche Grundlage für eine größere Eigenverantwortung der Schulen und für Qualitätssicherung an Schulen. Das gab es bisher gar nicht. Ab sofort werden Vergleichsarbeiten in verschiedenen Klassenstufen in mehreren Fächern geschrieben. Sie zeigen den Schulen, wo sie stehen und wo es Probleme gibt, wo Wissensstandards nicht erreicht werden und wo eine interne Diskussion über die Qualitätsverbesserung beginnen muss. Hinzu kommt das Zentralabitur ab 2007 in mindestens einem Fach. Allerdings gibt es für Qualitätsverbesserungen keinen Stichtag. Das ist ein mühsamer, aber notwendiger Prozess, dem wir uns nach PISA stellen müssen.

Das Interview führten Susanne Vieth-Entus und Gerd Nowakowski.

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