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Berlin: Das lange Zappeln

Sie tanzen durch bis Montag früh: Nach der Love Parade ziehen die Raver durch die Berliner Clubs, denn sie können nicht genug von der Droge Techno bekommen

Die Sonne bringt sie an den Tag: übernächtigte Raver, die aus dem Dunkel der Berliner Clubs ins Helle drängen. Die Love Parade ist vorbei, doch der Rave geht noch weiter. Vor dem „Tresor“ an der Leipziger Straße stehen am Sonntagvormittag zwanzig Partygänger an. Ihre Körper haben an Spannung verloren, doch müde sind sie nicht – dafür sorgt wohl die Mischung aus Alkohol und Aufputschchemie, die durch ihre Adern pulst. Eine Gruppe mit Igelfrisuren und Tarnklamotten kommt gerade aus dem „Polar TV“ in Tiergarten, neben dem „Tresor“ ein weiterer Club Berlins, der an diesem Wochenende besonders gefragt war. Dort haben die vier Jungs aus Flensburg die meiste Zeit der Nacht verbracht. Jetzt wollen sie noch in den „Tresor“. Denn hier kann noch den ganzen Sonntag über getanzt und gefeiert werden.

Schwergewichtige Männer mit kahlen Köpfen und dunklen Sonnenbrillen wachen vor dem Eingangstor. Zwölf Euro kostet die Technodröhnung im Sonnenschein. Viele Raver stöhnen über den Preis, zählen die Euros dann aber doch auf den Tisch. Am Love Parade-Wochenende hat sich der Club auch das staubige Brachland nebenan einverleibt. Die Technosüchtigen können deshalb auch im Freien zappeln, ein bisschen chillen und ihre Lungen mit frischer Luft füllen. Auf einer Bühne dreht ein Discjockey mit geübten Griff die Platten und beugt dabei angestrengt die Knie. Davor tanzen die Partygäste unter dem blauen Sonntagshimmel. Ihre Körper haben den Technobeat mit allen Sinnen aufgesogen. Sie bewegen sich gleichmäßig, nur wenn die Dynamik der Musik zulegt, reißen sie ihre Arme in die Luft. Auch auf dem Weg zur Bar geht ihnen der Rhythmus nicht aus den Beinen.

Auf einer kargen Grünfläche vor dem Zaun sind die Erschöpften zusammengesunken. Vorn übergebeugt hocken sie da, die Oberkörper wippen im Takt der Musik. Ihre Lippen sehen rau aus. Andere dösen zwischen leeren Bierflaschen und zertretenen Plastikbechern. Der Streifzug durch die Clubs hat an den einst schillernden Outfits der Raver seine Spuren hinterlassen: Über so manchem neonfarbene Minirock liegt ein gräulicher Film.

Während die einen immer noch in den Tresor drängen, hat Seckin Seyrek aus Hannover hat die Party schon verlassen. Mit ein paar Freunden hat er sein Quartier auf der Wiese am Reichpietschufer aufgeschlagen. Die Kofferraumklappe seines Opels ist weit geöffnet. Bis vor wenigen Minuten dröhnte aus den Boxen noch harter Technosound. Jetzt ist es still. Seckin will die Batterien schonen, denn in ein paar Stunden fahren er und seine Freunde nach Hause. Jetzt wartet er darauf, dass er wieder nüchtern wird. Ein Nickerchen noch, und dann geht es halbwegs ausgeruht hinters Steuer.

Pünktlich zur Abschlusskundgebung an der Siegessäule war Seckin am Samstagabend angekommen – zu seiner siebten Love Parade. Im nächsten Jahr will er nicht wieder dabei sein: „Love Parade – das ist immer das gleiche. Da passiert nichts Neues“, sagt der 21-jährige.

Auch im Club „Stern Radio“ am Alexanderplatz wird am Sonntagvormittag noch getanzt. Die Fans der Love Parade sind hier allerdings nicht zu finden. Die Türsteher sortieren alle aus, die nicht aus Berlin zu kommen scheinen: Touris, nein danke. Friederike Halbach aus Kreuzberg findet das gut so. „Die Love Parade hat nichts mehr mit Techno zu tun. Mich nerven die Spießer, die sich einmal im Jahr die Haare grün färben, sich zudröhnen und die Sau rauslassen“, sagt die 25-Jährige, die Stammgast im „Stern Radio“ ist. Auch wenn die Sonne schon fast im Zenit steht, spricht sie von „heute Abend“ und meint damit eigentlich den Tag zuvor. Irgendwann wird sie sich auf den Weg nach Hause machen und ins Bett legen. Wenn sie aufwacht, wird die neue Woche bereits angefangen haben. Freie Sonntage gibt es in der Berliner Partyszene nicht.

Mandy Schielke

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