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Berlin: Das Natur-Talent

Sandra Köppen ist Weltmeisterin im Sumo-Ringen. In Japan könnte sie Karriere machen. Aber sie spielt lieber mit den Tieren im Dorf

Schenkenberg. Die Weltmeisterin wohnt am Ende des Dorfs, auf einem Bauernhof zwischen Kaninchen, Fasanen und Hängebauchschweinen. Sandra Köppen trägt Trainingshose und T-Shirt. Ihr Körper wirkt massig, aber fest, ihre Schultern sind breit. Die 28-Jährige stapft über Stroh, öffnet ein Gitter, krault und füttert Carlos, das Lama. Sandra Köppen lebt immer noch im kleinen Schenkenberg bei Brandenburg/Havel – dabei könnte sie längst in Tokio sein. Die 130-Kilo-Frau (verteilt auf 1,75 Meter Größe) ist Deutschlands beste Sumo-Ringerin, gewann sieben Europa- und 2001 zwei Weltmeistertitel: allein und mit der Mannschaft. Der japanische Sumo-Verband wollte sie auf eine exklusive Ringer-Schule in den Fernen Osten holen. Sandra lehnte ab. „Große Städte sind nichts für mich. Zu viel Krach, zu wenig Natur“, sagt sie.

Das Sumo-Ringen ist eigentlich nur Sandras zweite Leidenschaft: Seit sie 14 Jahre alt ist, trainiert sie Judo. „Ich wollte Energie ablassen. Die Lehrer sollten endlich Ruhe vor mir haben.“ Damals prügelte sie sich oft mit Jungs, tobte im Schweinestall, war ein burschikoses Mädchen. Nach dem Abitur wurde Sandra Arzthelferin. Heute ist sie Sportsoldatin bei der Bundeswehr. Im Sommer wird sie als Judoka bei den Olympischen Spielen in Athen antreten. Sumo betreibt die junge Frau nebenbei, trainiert wird nur unmittelbar vor Turnieren, insgesamt ein paar Wochen im Jahr. „Sumo ist der ideale Ausgleich fürs Judo, weil dabei andere Muskeln belastet werden“, sagt Sandra. „Vor allem in den Beinen. Man steht ja sehr lange in der Hocke.“

Es ist ihr Lebensgefährte und Trainer Wolfgang Zuckschwerdt gewesen, der Sandra 1998 zum Sumo riet. Stolz sagt er, Sandra sei ein „Ausnahmetalent“. Im Jahr 1999 reisten beide das erste Mal nach Japan, auf Einladung des dortigen Sumo-Verbandes. Die Japaner wollen den Sport zur olympischen Disziplin machen. Dafür muss er aber international an Bedeutung und Frauen als Kämpfer gewinnen. Frauen wie Sandra Köppen. Die sammelte in Japan „hautnahe Eindrücke vom Sumo“, verbesserte ihre Technik, rang erstmals mit gleichstarken Gegnerinnen. Ihr Wissen hatte sie bis dahin nur aus dem Fernsehen und aus Büchern. Trainingspartnerinnen zu finden, war und ist schwierig. Nur etwa 40 weibliche Sumotori gibt es in Deutschland. Im Training kämpft Sandra gegen eine Puppe, die Zuckschwerdt hält – oder gegen Männer.

In seinem Heimatland Japan hat Sumo eine Tradition, die mehr als 1000 Jahre zurückreicht. Bis heute ist der Sport dort Männersache. „Auf den Dörfern haben Frauen aber schon immer gegeneinander gekämpft“, sagt Sandra Köppen. In Europa gibt es Sumo erst seit kurzem. Die Europäische Sumo-Union wurde 1995 gegründet. Deutschland ist neben Russland das Sumo-stärkste Land auf dem Kontinent. Und Brandenburg das wahrscheinlich erfolgreichste Bundesland. Jörg Brümmer aus Frankfurt (Oder) wurde 1998 Weltmeister der Männer. Brümmer hat mal Kopf schüttelnd erklärt, Sumo sei ja „bei Männern schon manchmal unästhetisch – aber wenn Frauen so aufeinander losgehen…“ Ein leidiges Thema für Sandra Köppen. Manchmal bekomme sie dumme Sprüche zu hören, Sumo-Ringen sei unweiblich, sagen die Leute dann. Freunde und Bekannte hätten aber „positiv reagiert“, als sie mit dem Sport begann.

Sie fasziniert am Sumo, dass „es total durch den Kopf geht. Man muss punktgenau fit sein und blitzschnell reagieren. Ein Kampf dauert ja nur Sekunden.“ Trainer Zuckschwerdt sagt, das Schöne seien „die einfachen und fairen Regeln“. Beim Sumo gewinnt, wer seinen Gegner dazu zwingen kann, den im Durchmesser 4,55 Meter großen Ring (Dohyo) zu verlassen oder den Boden mit einem anderen Körperteil als den Fußsohlen zu berühren. Schläge sind nur mit der flachen Hand erlaubt. „Es gibt 70 Angriffstechniken“, sagt Sandra, die ihre Gegner meist aus dem Ring schiebt. Schwergewichtigkeit ist nicht notwendig, aber von Vorteil. Köppen hat für ihren Sport nicht zugenommen und würde es auch nicht tun. „Übrigens stimmt das Klischee vom fetten unathletischen Sumo-Ringer nicht. Die sind sehr gelenkig. Einen Spagat zu können, ist Pflicht“, sagt sie. Das nächste Mal wird Sandra im Herbst in den Dohyo steigen. Dann finden die Sumo-Weltmeisterschaften statt.

Zehn Mal ist Sandra Köppen bisher in Japan gewesen. Die „Wahnsinnsstimmung“ bei den Sumo-Kämpfen hat sie beeindruckt. Aber das Land ist ihr fremd geblieben. „Die japanische Kultur interessiert mich nicht sonderlich“, sagt die junge Frau. Sushi findet sich fürchterlich. Sie will in Schenkenberg bleiben, auf dem Hof des Vaters. Dort, wo sie aufwuchs, und wo sie sich ihrem größten Hobby widmen kann: den Tieren.

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