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Berlin: Das neue Berlin entdeckt den alten Westen

Wohnungen rund um den Kurfürstendamm werden verstärkt nachgefragt. Boom bei Hotels und Läden

„Eine freie Wohnung am Kurfürstendamm oder in einer Nebenstraße? Das gibt’s gar nicht, die ist sofort weg“, sagt Immobilienmakler Gottfried Kupsch. Der Westen sei keineswegs im Abseits, betont er. Makler sind wie Seismographen. Er weist auf eine jüngste Umfrage bei Hauseigentümern, die ergeben hat, dass es einen regelrechten „Run“ auf Wohnungen in der West-City gibt. Dass auch der Handel boomt – 340 Geschäfte haben im letzten Jahr rund um den Ku’damm aufgemacht –, dass die meisten Cafés und Restaurants gut laufen. Selbst die fast totgesagte Paris-Bar – ein Bollwerk des Westens – ist jeden Abend brechend voll. Die Gastronomie, etwa rund um den Savignyplatz, kennt keine Krisenstimmung. Im Gegenteil. Es scheint kräftig aufwärts zu gehen.

Wie das? Ist die Diskussion nicht seit Wochen geprägt von Niedergang westlicher Stadt-Werte? Vom drohenden Ende der Ku’damm-Bühnen, vom Ende des Fernbahnhofs Zoo, von Abrissplänen für das ICC und die Deutschlandhalle?

Es gibt ein Manko. Das ist der schwache Touristenstrom. Der grast die Mitte ab. Und es gibt einen weiteren Schwachpunkt. Büros lassen sich in der West-City schwerer vermieten als an der Friedrichstraße oder am Potsdamer Platz. Die große Baulücke am Bahnhof Zoo ist ein Zeichen der Mutlosigkeit, weitere Bauvorhaben am Breitscheidplatz zeigen, dass die Investoren der Büro-Zukunft nicht so recht trauen. Ganze Bürohäuser in bester Lage stehen leer. Kupsch empfiehlt deshalb, in der West-City Büros in Altbauten zu Wohnungen umzuwandeln. Bei Preisen um 10 Euro pro Quadratmeter käme das für Vermieter aufs Gleiche hinaus. Denn die Nachfrage ist groß, auch von Leuten aus Mitte. Die „Kreativen“ entdecken die westlichen Bezirke. Ein leeres Bürogebäude an der Uhlandstraße wurde bereits komplett in ein Appartementhaus umgewandelt.

Dass es keinen Grund gibt, den Untergang des westlichen Zentrums zu beklagen, meint auch das Maklerunternehmen Engel & Völkers. Es sei Berlins größter Einzelhandelsstandort. Die Makler haben die Zentren Ost und West eingehend untersucht. Nirgends gibt es stündlich so viele Passanten wie in der Tauentzienstraße. Das KaDeWe ist ein Magnet, dessen Anziehungskraft nicht in Frage steht. Es gibt Touristen, die suchen ihr Hotel nach der Entfernung zum Kaufhaus des Westens aus. Dass die West-Mitte boomt, mit ein paar Seitenstraßen als Ausnahme, versichern viele Experten. Die West-Berliner Seele eigentlich könnte eigentlich beruhigt sein.

Von Neu-Berlinern versteht ohnehin niemand so recht, worum es eigentlich beim viel zitierten, von der einstigen Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer mit ausgeschmückten Untergangsszenario für den Westteil geht. Sie sehen längst Berlin als Ganzes, wissen die Qualitäten der Quartiere zu unterscheiden, unabhängig von ihrer Stadtlage. Sie können keinem Café Möhring am Kurfürstendamm mehr nachtrauern, weil sie es nur vom Gendarmenmarkt kennen. Sie verstehen die Nostalgie über das Café Kranzler nicht, zumal es ein Kranzler immer noch gibt. Sie verstehen nichts vom alten West-, nichts vom alten Ost-Berlin. Das längst stillgelegte Schillertheater (West) sagt ihnen nichts. Es ist genauso Geschichte wie etwa das alte Metropol-Theater (Ost). Sie wünschten, auch die Berliner selbst könnten ihre Stadt als Ganzes sehen. Sie kennen nicht die „Phantomschmerzen“.

Dem Kurfürstendamm ging es wirklich mal schlecht. In den achtziger Jahren kamen vorübergehend die Trödler und Billigheimer, der Boulevard war mit Ständen und mit „Schankveranden“ verstopft. Der Bahnhof Zoo war – ist das wirklich schon vergessen? – eine vergammelte Elendsstation, für die man sich als West-Berliner schämen musste. Der Ku’damm, in den fünfziger und sechziger Jahren das neonfarbene „Glitzerding“, schien ein wenig abgewrackt. Auch nach der Wende verharrte er in einem „gewissen Stillstand“, wie Kempinski-Direktor Uwe Klaus sagt. Aber dies „ist längst vorbei, der Rückgang aufgefedert und zum Gegentrend geworden.“ Klaus, auch einer der Seismographen, spricht von der wachsenden Bedeutung der West-City. Das zeige sich nicht zuletzt am Hotel-Boom in der Gegend.

Im „alten“ Westen und dem Kerngebiet Charlottenburg-Wilmersdorf wird es, wenn die Ku’damm-Bühnen geschlossen werden müssten, noch immer mehr Theater, Kinos und teure Restaurants geben. Dass sich die City-West wandelt, zeigt auch dies: Über 40 Prozent der Häuser an der Tauentzienstraße sind seit 1990 gebaut worden. Da kann nur noch die Friedrichstraße in Mitte mithalten.

Die Schließung der Ku’damm-Theater wäre ein Verlust, aber immerhin bietet der Investor einen Theaterneubau am selben Ort an. Vielleicht wird aus dem Ku’damm-Karree dann endlich ein attraktives Bauwerk. Immerhin ist auch das eine Investition in die West-City. Die Schließung des Fernbahnhofs Zoo Ende Mai dürfte ein harter Schlag mit größeren Auswirkungen sein. Fahrgäste aus den westlichen Bezirken werden es spüren, natürlich auch die Touristen. Schon befürchtet Zoo-Direktor Jürgen Lange, dass die Besucherzahlen um 10 Prozent zurückgehen. Aber der neue Hauptbahnhof an der Lehrter Straße ist so weit nicht weg – immerhin noch „Westen“ .

Neben dem Theater des Westens an der Kantstraße sollte einmal ein Intercity-Hotel der Bahn entstehen. Die Bahn verabschiedete sich von dem Plan. Er lohne nicht, hieß es. Das war vor der Wende. Nun aber entstehen dort ein Hotel, ein Parkhaus und ein Aschinger-Restaurant, ein Name mit Gesamt-Berliner Tradition. Das letzte Aschinger machte vor Jahren dicht. Es stand im „Osten“, am Hackeschen Markt.

Christian van Lessen

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