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Berlin: Das Opfer einfach liegen gelassen

Prozess um unterlassene Hilfe bei brutalem Überfall endete mit Verwarnungen für jugendliche Angeklagte

Sie sahen, dass ein Jugendlicher brutal zuschlug. Sie hörten, wie der attackierte Mann auf den Hinterkopf stürzte. Doch die sieben Jugendlichen zwischen 15 und 20 Jahren kümmerten sich nicht um den lebensgefährlich Verletzten, rannten einfach weg. „Es war nicht so richtig zu sehen, dass er Hilfe braucht“, sagte gestern einer von ihnen vor dem Amtsgericht Tiergarten. Eine 16-Jährige meinte: „Ich habe nur den Aufprall gehört.“ Ein weiterer Angeklagter erklärte: „Ich bin weggelaufen, weil die anderen auch weggelaufen sind.“ Es entstand in dem Prozess um unterlassene Hilfeleistung der Eindruck, dass die Angeklagten zufällig Zeugen eines Überfalls geworden sind. Doch sie gehörten zur Clique des 17-jährigen Schlägers Carsten H. (Name geändert). Sie zogen auch am 15. Februar vergangenen Jahres mit ihm durch Hohenschönhausen. Carsten H. rempelte den 43-jährigen Andreas K. an. Weil er ihn berauben wollte, sagte der Staatsanwalt gestern. Carsten H. schlug mit brachialer Gewalt zu.

Bauschlosser K., damals ein 100-Kilo-Mann, stürzte nach Faustschlägen auf den Gehweg. Er lag mit Schädelbruch, Hirnblutungen, mehrfachen Frakturen des Kiefers und des Mittelgesichts wochenlang im Koma. Andreas K. sei aufgrund der Verletzungen hochgradig spastisch gelähmt, könne weder sprechen noch allein essen, sagte der Staatsanwalt. Er habe voraussichtlich keine Chance, je wieder ein normales Leben zu führen.

Carsten H. hatte sich in die Intensivtäterkartei der Polizei geprügelt und geraubt. Im Sommer wurde er wegen des Überfalls auf Andreas K. zu drei Jahren Haft verurteilt. Die jetzigen Angeklagten – sechs Jungen und ein Mädchen – hatten nach Überzeugung der Ermittler nichts mit den Misshandlungen zu tun. Ihr Auftritt vor Gericht war kurz. Sie mussten nicht einmal erklären, wie das damals in der Clique war, wie sie zu H. standen.

Ein 18-jähriger Lehrling versicherte, dass er „nie wieder nicht reagieren“ werde. Diese Einstellung sei wichtiger als eine Verurteilung, sagte der Jugendrichter. Das Gericht nehme den Angeklagten ab, dass sie die Situation verkannt hätten. Sie wurden verwarnt und verpflichtet, je 20 Stunden Freizeitarbeit zu leisten. Sechs Jugendliche müssen an einem Erste-Hilfe-Kurs teilnehmen, der älteste an einem sozialen Trainingskurs.

Kerstin Gehrke

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