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Berlin: Das Spielgeld ist futsch

In einem Vereinsheim in Wedding trifft sich ein Investmentclub von Frauen. Die Baisse trübt ihr Gemüt. Man beschließt, die Krise auszusitzen

Von Thomas Loy

Die „Yukos“ war eine Enttäuschung. 20 Aktien gekauft zu 140 Euro und wieder abgestoßen mit deutlichem Verlust. Dann „Tsingtao Dingsbums“ – wie hieß die noch? – ach, ja: „Tsingtao Brewery“. Kaum noch Potenzial nach oben. Die Umsätze liegen bei null. Das macht keinen Spaß, wirklich nicht. Jetzt gibt es nur noch die 50 Puma-Aktien. Puma, über lange Zeit ein Tiger an der Börse, ist 10 Prozent unter den Einkaufskurs gerutscht. Das ist das Alarmsignal, die „Stoppmarke“.

Morgen fliegt wohl auch Puma aus dem Depot. Dann wird der Frauen-Aktienklub „Performance“ ohne Anteilsscheine dastehen, quasi nackt. 50 000 Euro liegen brach. Die Damen sind ratlos, auch ein wenig deprimiert.

Auf der Terrasse des BSC-Rehberge-Vereinslokals in Wedding geht ein lauer Sommertag zu Ende. Zur turnusgemäßen Sitzung sind acht Aktionärinnen erschienen – acht von 30. Wegen der Flaute hätten viele keine Lust mehr zu kommen, hatte Klubchefin Barbara Möbus schon vorab gewarnt. Einigen sei das stete Dahinschmelzen ihres Geldes doch sehr zu Herzen gegangen. Es gebe Mitglieder, die seien just am Gipfelpunkt der Euphorie in den Klub eingestiegen, hätten auf eigenen Wunsch Anteile nachgezahlt, um auf das Einlageniveau der Gründungsmitglieder zu kommen und mussten bald alle Hoffnung fahren lassen. „Eine ist extrem geschafft. Die wird wohl bald austreten.“

Ende 2001 hatte Barbara Möbus schon gedacht, der ganze Klub würde sich demnächst auflösen. Aber dann kamen überraschend viele Frauen, die eintreten wollten. Es existiert sogar eine Warteliste. Frau Möbus kann sich darüber nur wundern.

Vor jeder Entscheidung für oder gegen eine Aktie wird ausgiebig die Markt- und Weltlage analysiert. Ein Irak-Krieg könnte den Dax schnell unter die 3000er-Marke drücken, warnt Barbara Möbus ihre Damen. „Ist schon in den Kursen drin“, beruhigt Sonja, so Mitte 30, Maschinenbauingenieurin. „Noch lange nicht“, gibt Barbara zurück. Sie übernimmt meist die Rolle der Kassandra.

Marion, so Mitte 40, ehemalige Lehrerin, arbeitet lieber mit den feinen Werkzeugen der Börsentechniker. „Da gibt es einige Aktien, die sich ganz gut über der 200-Tage-Linie halten.“ Sie würde die eine oder andere durchaus zum Schnäppchenpreis erwerben, „L’Oréal wird sehr empfohlen, ist gut positioniert.“ Barbara schaut sie mit Luchsaugen an, als wollte sie sagen: Willst du uns alle in den Ruin treiben? Marita, so um die 40, Schulsekretärin, findet den Billigflieger Ryanair ganz charmant. „Da habe ich einen Bericht vom Chef gelesen. Die packen da selbst mit an.“ Südzucker, Daimler-Chrysler, British Gas, Porsche, Beiersdorf, Herlitz – alles wird durchgekaut und schnell wieder ausgespuckt.

„Im Moment kannst du keine Aktien kaufen“, sagt Marita. Sonja weist lächelnd darauf hin, dass Aktien dazu neigen, in der Faschingszeit zu steigen. Ein dezenter Hinweis auf die vielen Bauernweisheiten im Börsenvorhersagegeschäft. Barbara zitiert verächtlich die jüngste Ausgabe der Zeitschrift Börse-Online. „Die Bodenbildung ist perfekt“ – Schnee von gestern. Schon nach einer Stunde ist die Sitzung beendet. Man hat beschlossen, die Krise auszusitzen. Barbara macht den Laptop aus und ordert Gulaschsuppe.

Seit über zehn Jahren handelt Barbara Möbus an der Börse. Die Aktien wurden zum ständigen Begleiter. Ein Fulltimejob. „Das war richtig anstrengend, von morgens um 8 bis spät abends.“ Seit die Aktien in den Keller rutschen, verkauft sie nebenbei Versicherungen. 1997 gründete sie den Klub, um sich mit anderen Frauen auszutauschen, „weil man ein Ventil braucht“, wenn im Kopf nur noch Kurse und Ziffern herumirren. Männer mussten draußen bleiben, denn mit ihnen hatten die Börsianerinnen schlechte Erfahrungen gemacht. In der Männerwelt der Banken wurden Frauen nicht ernst genommen. Heute sei das nicht mehr so schlimm, sagt Möbus. Männer müssen trotzdem draußen bleiben.

In der Euphorie Ende der 90er Jahre schossen die Investmentklubs nur so aus dem Boden – viele von ihnen haben schon wieder dichtgemacht. Im Internet sind zwölf Berliner Klubs gelistet, aber einige existieren nur noch als leblose Hülle. Die beiden Frauen-Aktienklubs haben der Baisse bisher getrotzt.

Dennoch hinterlässt solch ein langer Marsch durch das Tal der Tränen natürlich Spuren. „Damit hatte ja niemand gerechnet“, sagt Marion. Sie handelt neben dem Klub auch noch privat und musste 40 Prozent ihres eingesetzten Kapitals abschreiben. Das sagt sie ohne jede Rührung. „Geld ist einfach Geld. Darunter leidet mein Selbstbewusstsein nicht.“ Später, als sie schon weg ist, erzählt Barbara. „Das habe ich schon anders gehört – auch Marion tut das weh.“ In der Runde sage niemand was, aber im persönlichen Gespräch schimmere schon manchmal die Bitterkeit durch. „Über den Punkt, wo es weh getan hat, bin ich schon hinweg“, sagt Marita. Das Interesse an den Dingen der Börse habe merklich nachgelassen. Im Vergleich zu den so genannten Experten bei den Fondsgesellschaften stehe man immer noch ganz gut da. Marita ärgert sich nur, dass sie mit dem vielen Geld, das sie theoretisch mal besaß, nicht ihr Traumauto oder eine Wohnung gekauft hat. Für die nächste Hausse hat sie sich das fest vorgenommen. Kassandra Barbara meldet sich wieder – sie kann nicht anders: „Die hohen Gewinne wirst du nicht mehr sehen.“ Dann fällt das Wort: Spielgeld.

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