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Berlin: David Eppenstein (Geb. 1945)

Ansichten prallen eben manchmal aufeinander.

Als er im Krankenhaus liegt, kurz vor seinem Tod, besucht ihn ein Freund und fragt eine Schwester: „In welchem Zimmer liegt David Eppenstein?“ Die Schwester durchsucht die Patientenliste: „Einen David Eppenstein kann ich nicht finden.“

In seinem Ausweis, in amtlichen Akten und dienstlichen Dokumenten, auch in seiner Sterbeurkunde, heißt er Klaus-Dieter. Freunde und Bekannte kennen ihn nur als David. In seiner Geburtsurkunde steht der Name David, später handschriftlich hinzugefügt.

Er hat die Geschichte wie folgt erzählt: Am 15. März 1945 wird er in Dessau geboren, der Vater ist Jude, die Mutter Katholikin. Nach jüdischem Gesetz ist David kein Jude. Was die Nazis natürlich nicht interessiert, Halbjude oder ein bisschen Jude, jedenfalls ist das Blut in dieser Familie nicht arisch genug. Und da seine Eltern am 15. März nicht wissen, dass es nicht mehr lange dauert bis zum 8. Mai, lassen sie den Namen „Klaus-Dieter“ eintragen. „Eppenstein“ bleibt.

Der 8. Mai ist längst vorüber. David geht zur Schule, dann auf die Freie Universität, arbeitet in der Volkshochschule Charlottenburg-Wilmersdorf als Programmbereichsleiter, alle nennen ihn „David“. Auch seine Eltern haben nie „Klaus-Dieter“ gesagt.

David beginnt, sich mit dem Judentum zu beschäftigen. Belegt Hebräischkurse, studiert die Thora und den Talmud, lässt sich urkundlich als Jude eintragen. Fährt aber nie nach Israel.

Er bewohnt eine großbürgerliche Wohnung in der Fasanenstraße, Stuck an den Decken, an den Wänden Billy-Regale, gefüllt mit einer umfassenden Bibliothek, mit antiquarischen Gesamtausgaben von Marx und Dante, ein Ledersofa. Quadratische Lampen und Bilder, deren Kanten sich exakt aufeinander beziehen. Er kocht grandios, leert seinen eigenen Teller aber nie. Er kümmert sich um einen gehörlosen Jungen, erlernt seinetwegen die Gebärdensprache, richtet Kurse an der Volkshochschule ein. Und brüllt bei dienstlichen Sitzungen seine Kollegen an. Er läuft durch die Büros, als sei er der Geschäftsführer, verabscheut aber Autorität. Er lebt in Beziehungen zu Frauen, trennt sich jedoch immer wieder. Er brilliert einmal geistreich und analytisch in Gesprächen, beschimpft sein Gegenüber ein andermal grob und wüst; stumpfsinnig und einfältig sei der andere, ein Nazi obendrein, Deutschland habe sich eben nie geändert. Er kann eine trübe Weihnachtsfeier mit seinem Erscheinen, seiner Brillanz zum Leuchten bringen, kann die Laune aller auf einem Fest aber ebenso gut niederreißen. „Du bist herzlich eingeladen“, sagen Gastgeber zu seiner Frau, „deinen Mann aber wollen wir nicht mehr sehen.“ Was verständlich ist. Und betrüblich. Denn David geht es darum, die Dinge zu durchdenken. Und denken kann man nicht schnell, nebenher, Ansichten prallen eben manchmal aufeinander.

Häufig hinterlässt er nur diesen letzten Eindruck, schroff und hässlich, wundert sich nachher, warum die Menschen so verständnislos reagieren. Dann zieht er sich zurück, wird noch misstrauischer, erklärt den Rest der Welt zu Geisterfahrern.

Er schreibt sein Testament: Auf dem jüdischen Friedhof in Weißensee möchte er liegen. Oder verbrannt und anonym beerdigt werden. Auf den Friedhof kann er nicht, er ist kein Mitglied der Jüdischen Gemeinde. Eine Urnenbestattung für einen Juden wiederum ist eigentlich nicht statthaft. Beides wusste er doch? Er wird eingeäschert.

Auf dem Friedhof in Stahnsdorf gibt es eine Wiese, auf der Wiese eine Stele. An ihr ist ein Namenstäfelchen angebracht. Darauf steht: David Eppenstein. Tatjana Wulfert

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