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Berlin: DDR-Regierungskriminalität: Strafverfolgung vor dem Ende

BERLIN .Eine Epoche der deutschen Justizgeschichte geht zu Ende.

BERLIN .Eine Epoche der deutschen Justizgeschichte geht zu Ende.Am 30.September nächsten Jahres wird die Staatsanwaltschaft II in Berlin aufgelöst, die Verfolgungsbehörde für DDR-Regierungs- und für Vereinigungskriminalität.22 550 "Eingänge" hatte es gegeben.Aber nur 22 Funktionäre des ehemaligen sozialistischen Staates sind zu Freiheitsstrafen verurteilt worden, die sie auch antreten mußten.Angesichts dieser ernüchternden Lage wertete Justizsenator Ehrhart Körting das Ergebnis jetzt so: "Es war eher eine Feststellung von Schuld als die Festlegung von Sühne."

Nach dem September nächsten Jahres wird nur noch eine normale Abteilung der Staatsanwaltschaft das noch offene DDR-Unrecht "abwickeln".In der Justizverwaltung ist die Entscheidung jetzt gefallen.Nächste Woche wird Körting seine Ministerkollegen darüber informieren, daß keine weiteren Abordnungen von Staatsanwälten nach Berlin mehr nötig sind.21 270 Verfahren waren eingestellt worden.Nur noch 774 sind offen.Der vor allem bei der PDS mit Argwohn begleitete Auftritt der Justiz nach der deutschen Vereinigung hat lediglich zu 506 Anklagen gegen 877 Personen geführt.Lediglich 211 wurden verurteilt - die meisten zu Bewährungsstrafen.

Echte Freiheitsstrafen hat es nur 22mal gegeben: Dreimal wegen Rechtsbeugung, zweimal wegen Vermögensdelikten, einmal wegen MfS-Tätigkeit und fünfmal wegen Wirtschaftskriminalität, dazu elfmal wegen des Totschlags an der Grenze.Darunter sind drei Angehörige der politischen und sechs der militärischen Führung.Ex-Verteidigungsminister Heinz Keßler hat die Haft am Donnerstag gerade wieder verlassen.

Anders als erwartet oder befürchtet, sind die Verantwortlichen der DDR also keineswegs reihenweise in die Gefängnisse marschiert.Statistisch läßt sich weder ein Racheakt der Justiz noch überhaupt eine Exekution des Sühnegedankens belegen."Aber die Schuld-Feststellung ist schon ein Wert an sich", sagt der Justizsenator heute.Die Frage einer immer wieder ins Gespräch gebrachten Amnestie stelle sich indessen nicht, "denn mit einer Amnestie würde ich niemanden erreichen."

Die 42 aus anderen Ländern abgeordneten und die 17 Berliner Staatsanwälte werden bald nicht mehr viel abzuwickeln haben.Wirtschaftsstrafverfahren, Rechtsbeugung, rund 100 Fälle von der Grenze und die Doping-Prozesse stehen noch an.Etwa 16 Ankläger sollen vom September nächsten Jahres an in einer eigenen Abteilung noch weitermachen.Ende des Jahres 2000 läuft dann auch die absolute Verjährungsfrist bei mittlerer Kriminalität aus.Was dann nicht abgeurteilt ist, verfällt vor der Geschichte.

Generalstaatsanwalt Christoph Schaefgen wird im nächsten Herbst seinen Schreibtisch räumen.Gedanken, die reguläre Berliner Staatsanwaltschaft zu teilen und zwei normale "Generäle" einzusetzen, wurden in der Justizverwaltung verworfen.Schaefgen, der bis zur Pensionsgrenze von 65 Jahren weiterarbeiten möchte, soll allerdings nicht in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden.Für ihn soll eine "amtsangemessene Tätigkeit" gesucht werden, sagt Justizsenator Körting.Schaefgen habe sich um sein Amt verdient gemacht.

Schaefgen selbst ist, wie er dem Tagesspiegel sagte, mehr denn je überzeugt, daß die DDR-Vergangenheit unter die Lupe des Strafrechts habe genommen werden müssen.Die Opfer hätten dies erwartet.Es habe ein "legitimes Bedürfnis nach Sühne" gegeben.Nur mit einem ist der Generalstaatsanwalt unzufrieden: "Die Täter sind in der Mehrzahl noch heute nicht einsichtig."

HANS TOEPPEN

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