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Berlin: Dem Glauben ein neues Fundament

Die Kathedrale auf dem russischen Friedhof musste saniert werden. Sponsoren und Handwerker halfen

Das dunkle Himmelblau der Zwiebeltürme schimmert leuchtend durch kahle Äste und laublose Baumkronen und lockt jeden, der das Außergewöhnliche sucht, auf den einzigen russischen Friedhof in Deutschland. In dessen Mittelpunkt steht eine kleine Kathedrale. Wir sind in Reinickendorf an der Wittestraße 37, und wer durch das hölzerne Tor mit dem Glockengeläut geht, findet sich in einer eigenen, so ganz anderen Welt. Links am Baum liest er als erstes den SOS-Ruf, dass die 1894 eingeweihte, älteste orthodoxe Kirche Berlins dringend renoviert werden muss. Die Sanierung kostet etwa 100 000 Euro. Peter Kappes, Architekt und Geschäftsführer einer Ingenieur- und Planungsgesellschaft, erfuhr davon und wollte helfen, das denkmalgeschützte Kleinod zu erhalten. Er fertigte ein Gutachten, überzeugte Handwerksfirmen und Sponsoren, bei der Beseitigung der Schäden mitzuwirken. Das ist nun teilweise geschehen, die Dächer werden gerade gestrichen, das feucht gewordene und von Rissen durchzogene Fundament ist isoliert. Im April sind die Gerüste abgebaut.

Priester dieser „Kirche der Heiligen Helena und Konstantin“ ist Sergij Silaganov. Er hat die Schlüsselgewalt für das der Moskauer Basilius-Kathedrale nachempfundene Gebäude aus gelbem Backstein. Bis er kommt, sehen wir uns auf dem Friedhof um. Und staunen: über ungewöhnlich gestaltete, schlichte weiße Holzkreuze mit den drei Querbalken, über gewaltige Grabanlagen aus schwarzem Marmor, über die gerahmten Fotos oder in Stein getriebenen Darstellungen mancher zu jung aus dem Leben gerissenen Toten. Auf einigen Gräbern liegen Beigaben – Teddybären, Sektgläser, auch schon mal eine Flasche Wodka. Prominente Namen haben dem Areal den Beinamen „Friedhof der Verwandten von Berühmtheiten“ gegeben. Hier ruhen zum Beispiel der Architekt Michail Eisenstein, Vater des berühmten Regisseurs von „Panzerkreuzer Potemkin“, oder Wladimir Nabokow, erster Geschäftsführer der russischen Regierung nach der Februar-Revolution 1917, der hier in Berlin 1922 ermordet wurde. Senatoren und Kammerherren, Fürsten, Barone, Grafen. Ein Denkmal ist dem Komponisten Michail Glinka gewidmet, der zwar 1857 in Berlin verstorben war, dessen sterbliche Überreste jedoch in St. Petersburg ruhen.

Bäume für die Lindenallee und 40 Tonnen russische Erde ließ Zar Alexander III. nach Berlin bringen, damit die Toten in der Fremde Ruhe in heimatlicher Erde finden: auch Rotarmisten und Generäle der Wrangelarmee, die im Kampf um Berlin 1945 gefallen sind, liegen hier Seite an Seite. Und eine unbekannte Zahl von Kindern russischer Zwangsarbeiterinnen. Ihre Schicksale möchte der Priester erkunden, Experten sind dabei, die Lebensläufe der Mütter zu ermitteln. Man möchte ein Denkmal in Form eines aufgeschlagenen Buches schaffen, mit den Namen der Toten, die starben, ehe sie zu leben begannen, als ewige Mahnung zum Frieden. Ein Denkmal für Kinderopfer der Naziherrschaft – das gibt es bisher nirgendwo, sagt Sergij Silaganov, der Priester, den sie aus Moskau nach Berlin in die kleine 200-köpfige Gemeinde mit dem prominenten Friedhof rund um das reparaturbedürftige Kirchlein geschickt haben. Nachdem er die schwere Holztür öffnet, das Licht anknipst und ein paar Kerzen entzündet, stehen wir geblendet vom Gold des Altars und der Ikonen unter dem Kronleuchter in der Mitte der runden Kirche. 30, 40 Gläubige passen hinein, stehend, aber der schöne Schein trügt: Teppiche verdecken die Risse im Boden, vor 111 Jahren ahnte niemand, dass später ganz in der Nähe eine Autobahn verläuft.

Priester Sergij dankt den Spendern, aber es bleibt einiges zu tun. Und da ist ja noch die Sache mit dem Denkmal . . .

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