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Berlin: Der ehemalige SFB-Intendant Lothar Loewe über die unsichtbare "Staatsgrenze"

Es war ein traumatischer Schock, der die Berliner heute vor 38 Jahren durchfuhr, als in jenen heißen August-Tagen die Großstadt Berlin durch die Mauer geteilt wurde. Damals fühlten sich die Berliner in allen Sektoren noch als Bewohner der ganzen Stadt, eben als Berliner, - nicht als West- oder Ost-Berliner.

Es war ein traumatischer Schock, der die Berliner heute vor 38 Jahren durchfuhr, als in jenen heißen August-Tagen die Großstadt Berlin durch die Mauer geteilt wurde. Damals fühlten sich die Berliner in allen Sektoren noch als Bewohner der ganzen Stadt, eben als Berliner, - nicht als West- oder Ost-Berliner. Diese Begriffe kamen erst später auf.

Und als dann im November 1989 die Mauer endlich fiel, lagen sich die Berliner aus Ost und West glückselig in den Armen. Endlich wieder vereint. Viele glaubten damals schon, es sei eigentlich wie früher, Steglitzer und Lichtenberger ein Herz und eine Seele. Aber der Rausch war schnell verflogen. Der Zusammenbruch der Wirtschaft, die Arbeitslosigkeit und die unterschiedlichen Lebensgewohnheiten lösten Ernüchterung aus.

28 Jahre der Teilung waren trotz der Passierschein-Besuche und häufiger grenzüberschreitender Telefonate eine sehr lange Zeit der Trennung. Die Entfremdung saß tief. Sie ist heute deutlicher spürbar als vor fünf Jahren. Bei einer meiner Fernseh-Umfragen im Jahre 1975 wussten viele junge Ost-Berliner bereits damals nicht mehr, wo der Hermannplatz lag. Und umgekehrt gab es schon damals West-Berliner, die keine Ahnung hatten, wo die Schönhauser Allee verlief.

Und wie ist es heute? Haben die Berliner wieder ein Gefühl für die ganze Stadt entwickelt? Manche schon, aber erstaunlich viele keineswegs. Es gibt eine Menge Leute im Westen, die nicht wissen, wie man auf dem U-Bahnhof Stadtmitte umsteigt oder wie man in die Wuhlheide gelangt. Sie beklagen, dass am Schiffbauerdamm so viele Kneipen aus dem Boden schießen und nicht in Wilmersdorf.

Noch schlimmer, manche Westler sind stolz darauf, so gut wie nie "in den Osten" zu fahren. Berlin endet für sie allenfalls gleich hinter dem Brandenburger Tor, im Hotel Adlon.

Und wie ist es im Osten Berlins? Wie kommt es wohl, dass einem niemals das eine oder andere vertraute Gesicht eines früheren DDR-Grenzoffiziers beim Einkauf im KaDeWe begegnet? Wo sind die Kontrolleure von gestern eigentlich geblieben? Auf dem Kurfürstendamm übrigens verteilt ein ergrauter DDR-Ex-Zöllner Handzettel für ein bayerisches Lokal.

Er ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Vor zwölf Jahren ließ derselbe Mann die West-Autofahrer am Kontrollpunkt Staaken die Fußmatten anheben. Die Passanten auf dem Kurfürstendamm, die den Mann heute wiedererkennen, haben ihm wohl längst vergeben.

Aber es bleibt "Fakt", dass Zehntausende von Angehörigen der "DDR-Organe" sowie deren Familien die unsichtbare "Staatsgrenze" nach Westen noch immer nicht überschreiten. "Hier", das ist Hohenschönhausen, Marzahn, die Normannenstraße. Tief eingeschliffenes Unbehagen gegenüber dem Westen lässt sie immer noch eher nach Bulgarien reisen als an den Rhein.

Wer heute alte Freunde im Osten besucht, bringt nach alter Sitte Blumen oder ein Buch mit, aber nicht mehr Bohnenkaffee, Whisky oder den "Spiegel". Viele OstWest-Bekanntschaften sind abgerissen, Freundschaften abgekühlt. Es ist oft nicht böser Wille, dass die einst engen Beziehungen verkümmern.

Dennoch, das Leben der Berliner beginnt allmählich normal zu werden. Dafür sorgen nicht zuletzt die Neulinge, die aus Bonn, aus ganz Deutschland oder aus dem Ausland nach Berlin ziehen. Sie sehen Berlin mit anderen Augen. Ihnen erscheint Berlin als eine große, fremde, pulsierende Stadt. Sie kümmern sich selten um Ost oder West. Sie suchen Wohnungen in Pankow oder in Mitte, sie ziehen nach Frohnau oder nach Kleinmachnow.

Die Begriffe der politischen Spaltung von einst spielen für sie kaum noch eine Rolle. Die Neuankömmlinge haben meist keine Vorurteile. In ein paar Jahren werden sie Berliner sein, und es wird für sie eines Tages Tante Martha in Oberschöneweide geben oder den Sohn Jürgen mit seiner Familie in Schlachtensee. Sie werden sich gegenseitig manchmal besuchen, mit der Bahn, per Auto oder per Pedes. Sie werden zuweilen miteinander zanken und sich wieder vertragen. So wie das immer in Berlin war, lange vor dem Bau der Mauer.

Berlin und die Berliner wachsen organisch zusammen, weil sie in einer großen Stadt wohnen. Es wird länger dauern als viele Menschen erwartet haben. Aber diese Stadt Berlin ist nicht klein zu kriegen, sie wird kommen. Sie wird wiederkommen. Irgendwann wird auch jeder Schauspieler oder Opernsänger, der etwas auf sich hält, wieder unbedingt auf den Brettern einer Berliner Bühne stehen wollen. So wie das früher üblich war.

Lothar Loewe

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