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Berlin: Der Erzbischof spielt den Bremser

Die katholische Kirche Berlin steckt in der Krise. Dabei könnten Reformen längst greifen: Ein Pastoralforum hat in drei Jahren 570 Beschlüsse erarbeitet. Nicht einer ist umgesetzt

148 Millionen Euro Schulden muss die Katholische Kirche in Berlin abbauen. Wie, das wird diese Woche entschieden. Grundlage für die Sanierung ist ein Konzept der Unternehmensberater von McKinsey. McKinsey hat nur die Finanzen im Blick, sagt der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner. Was sich inhaltlich ändern soll, müsse sich das Bistum selbst überlegen. „Wenn das nicht geschieht, ist die Post-McKinsey-Depression programmiert“, sagt Zulehner. Dem Finanziellen müsse ein inhaltliches Reformkonzept zur Seite gestellt werden. Ein solches Reformkonzept allerdings könnte es längst geben – wären die Ergebnisse des Pastoralforums umgesetzt worden. 570 Beschlüsse – und kein einziger davon umgesetzt.

1997 hatte Kardinal Georg Sterzinsky das „Diözesane Pastoralforum“ eingesetzt – mit dem Auftrag, „die Zeichen der Zeit zu verstehen und im Gebet und Gespräch zu erkennen, was der Herr der Kirche heute in unserem Erzbistum mit uns wirken will und von uns erwartet“. 300 Priester und Ehrenamtliche analysierten und diskutierten drei Jahre lang, wie sich die Rolle des Priesters ändern muss, wie man mehr Ehrenamtliche gewinnen könne, ob das Frauenbild noch angemessen ist und wie sich die Laien in den Bistumsgremien Gehör verschaffen könnten. Insgesamt standen 14 Themen zur Debatte. Im Grunde ging es um die Frage: Wie bringt man Leute in die Kirchen und wie die Kirche zu den Menschen? Es sollte ein großer Wurf werden. Im Juni 2000 wurden 570 Beschlüsse verabschiedet und dem Kardinal zur Begutachtung übergeben. Dabei blieb es. Für viele, die mitgearbeitet haben, manchmal dreimal die Woche, ist „Pastoralforum“ ein Reizwort. „Mich hat das Ganze sehr geärgert“, sagt Joseph Kleinelanghorst, „da wurde viel Kraft, Zeit und Papier verschwendet.“ Er hat sich als Ehrenamtlicher Gedanken über das Zusammenleben der Kulturen gemacht. 20 Prozent der Berliner Katholiken sind Ausländer. Vor Jahren sei ein „Pastoralkongress“ in den Sand gesetzt worden, dann das Pastoralforum, seine Lust, sich zu engagieren, ist dahin.

Andreas Jurzok hat an Visionen für die Schulen gebastelt. Die Stimmung sei anfangs „von einem großen Aufbruch“ getragen gewesen. Dann sei alles anders gekommen. Eine Zeit lang habe man noch gedacht, irgendwann geht’s richtig los. „Aber ach“, sagt er, „das Gefühl, als Laie in der Kirche nicht ernst genommen zu werden, ist 2000 Jahre alt.“

Für Jurzok ist das Seelsorgeamt im Bistum die bremsende Kraft. Die Beschlüsse des Pastoralforums wurden umsortiert, delegiert und neu diskutiert. Herausgekommen sind ein Fünf-Jahres-Plan und die Broschüren „Missionarisch handeln“ und „Ihr sollt ein Segen sein“ – ein wildes Sammelsurium der wenigen Vorschläge, die der Kardinal angenommen hat. Die meisten liegen noch unangetastet auf seinem Schreibtisch.

„Man kann es so machen oder so“, sagt Martin Pietsch, der Leiter des Seelsorgeamtes. „Das Pastoralforum hat sich für eine Ordnung entschieden, wir im Bistum für eine andere.“ Er ist zuversichtlich, dass noch weitere Broschüren veröffentlicht werden. Dass man es vor dem Kirchentag nicht einmal geschafft hat, wie ursprünglich geplant, die Beschlüsse des Pastoralforums zur Ökumene zu begutachten und zu präsentieren, habe an „verschiedenen Problemen“ gelegen. Man habe keine Druckvorlage erstellen können. Nun sei alles der Finanzkrise untergeordnet. „Alles zur gleichen Zeit geht nicht.“

Vom großen Wurf ist nur ein Steinbruch geblieben. So sieht es Hans-Jürgen van Schewick. Er vertritt als Vorsitzender des Diözesanrates die Laien im Bistum. Es sei nicht nur „unendlich viel Engagement und Einsatzbereitschaft zerstört“, sondern auch die Chance für einen echten Ruck in den Gemeinden vertan worden. Aber genau diesen Ruck und die Einsatzbereitschaft von Ehrenamtlichen wird es in Zukunft brauchen, wenn die Gemeinden, wie es McKinsey will, mit deutlich weniger hauptamtlichen Mitarbeitern und Geld auskommen müssen.

Derzeit wird im Bistum wieder an einer „pastoralen Erneuerung“ gearbeitet, diesmal unter Hochdruck und mit acht Personen, vier Priestern, drei Laien und einem Unternehmensberater. Van Schewick, Kleinelanghorst und Jurzok fürchten allerdings schon jetzt, dass dabei keiner der Vorschläge aus dem Pastoralforum berücksichtigt wird. „Wir versuchen, davon etwas aufzugreifen“, sagt der Leiter der Projektgruppe, Ernst Pulsfort. „Aber jetzt geht es nicht um ein großes Ideal, sondern um die schnelle Umsetzung von wenigen konkreten Maßnahmen“.

Van Schewick bezweifelt, dass das für den notwendigen Ruck reichen wird.

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