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Berlin: "Der ewige Höllenbewohner" - die Liste der Feindbilder ist lang

In den Tagen der Apostel, so erzählt eine alte pisanische Handschrift aus dem 12. Jahrhundert, hatte ein gewisser Nikolaus Ambitionen auf die Nachfolge des Petrus.

In den Tagen der Apostel, so erzählt eine alte pisanische Handschrift aus dem 12. Jahrhundert, hatte ein gewisser Nikolaus Ambitionen auf die Nachfolge des Petrus. Leider konnte er seine Finger nicht von Zauberei und Totenbeschwörung lassen, so dass er, statt auf dem Papststuhl zu landen, exkommuniziert wurde und ohne Wasser und Brot im Hungerturm endete. Um seinen toten Lehrer zu rächen, machte sich sein Schüler Maurus auf den Weg nach Arabien, in eine gerade christianisierte Gemeinde, "um von dort aus das Christentum zu verderben". In einem einheimischen Kamelhüter namens Muhammed findet er schnell einen talentierten Komplizen, den er heimlich in den teuflischen Künsten unterrichtet, und zwar so erfolgreich, dass Muhammad schließlich sogar zum König gewählt wird. "Zusammen verfassten sie ein dickes Buch, indem sie aus dem Alten und dem Neuen Testament Teile auswählten, den Inhalt jedoch durch ihre Auswahl absichtlich verdunkelten. Auf diese Weise wurde Muhammad ein Prophet. So wurde der Islam geboren, mitsamt der Neigung seiner Anhänger, mehrere Frauen zu haben und der skandalösen Erniedrigung des Lebens."

Die Vorstellung, dass der Koran nichts anderes sei, als die Mischung aus Altem und Neuem Testament, ist auch heute noch in einigen Köpfen lebendig. Auch das Motiv von Sex und Gewalt, sagt Peter Heine, bestimme den westlichen Blick auf den Islam bis in die Gegenwart. Peter Heine ist Professor für Orientalistik an der Humboldt-Universität. Im Rahmen einer Ringvorlesung berichtete er von Moslems in Deutschlands, von Feindbildern und Vorurteilen. Der europäische Blick auf den Islam verfüge über eine lange Tradition der Feindbilder. Papst Innozenz der Dritte hielt Mohammed für das Tier der Apokalypse. Für Dante war er der ewige Höllenbewohner. Martin Luther sah in dem Vordringen der Türken ein Zeichen der nahenden Endzeit. Islam und Papsttum betrachtete er als die beiden großen Geißeln Gottes, wobei ihm allerdings der Islam die harmlosere erschien, weil er offen gegen das Christentum wirkte und nicht im Verborgenen, wie das Papsttum.

Als sich mit dem Ende der Türkenkriege auch derlei Endzeitvisionen auflösten, kam es zu einer kurzfristigen Veränderung des europäischen Blickwinkels. Die Exotik des Orients veranlasste Mozart zu seiner "Entführung aus dem Serail" und die ersten Übersetzungen der Scheherazaden aus "Tausendundeiner Nacht" verzauberten die Leser in ganz Europa. Viele fanden in den Märchen allerdings auch die alten Vorurteile von unmoralischen Ausschweifungen und grausamen Bluttaten bestätigt.

Den Ursprung des feindlichen Blicks vermutet Peter Heine dort, wo im mittelalterlichen Europa die technologische und intellektuelle Überlegenheit des Islam schmerzlich deutlich gewesen sei. Um die empfundene Unterlegenheit der eigenen Kultur auszugleichen, suchte man nach Tugenden, die das christliche Europa aufwerteten. "Man braucht wohl die Illusion, besser zu sein", sagt Heine im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Also besann man sich auf die christliche Ethik und die Moral der Gewaltlosigkeit. Dass die abendländische Realität mit diesen Idealen weniger gemein hatte, als mit den konstruierten morgendländischen Schreckgespenstern, bekümmerte kaum. Man verwies auf die Bibel, die - im Gegensatz zum Koran - ausdrücklich zu moralischem Handeln und zu Gewaltlosigkeit auffordere. Wo das Neue Testament Feindesliebe empfehle, da geböte der Koran unbedingtes Draufhauen.

Muslime beten zu demselben Gott und erheben Anspruch auf dieselben Propheten und dieselben Offenbarungen. "Man konnte die Muslime nicht einfach als Heiden einordnen", meint Heine. Also wurden die Gemeinsamkeiten übertüncht und die Unterschiede zu Monströsitäten aufgebauscht.

Diesen Mechanismus sieht der Kölner Islamwissenschaftler Navid Kermani bis in die Gegenwart wirken. Auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung eröffnete er in Berlin eine Vortragsreihe, die sich mit den Muslimen in Deutschland und Europa auseinandersetzen will. "Sobald an irgendeinem Ort zwischen Rabat und Kuala Lumpur eine Bombe explodiert, müssen muslimische Fundamentalisten Allahs Schwert gezückt haben". Niemand würde dagegen den protestantischen Extremisten in Nordirland als Soldaten Luthers bezeichnen oder die Schändung jüdischer Gräber in Deutschland mit der Kreuzigung Jesu begründen, so Kermani.

"Nicht zuletzt um sich der eigenen Säkularität zu versichern, sucht der Westen seinen Antagonismus in der orientalischen Welt", diagnostiziert Kermani. Alles was in der muslimischen Welt geschehe, werde in Europa mit dem islamischen Glauben in Verbindung gebracht. Dabei sind sich Peter Heine und Kermani einig, dass man die geographische, politische und kulturelle Vielfalt der islamischen Ländern kaum auf die gemeinsame Religion reduzieren kann. Zu groß seien die Unterschiede zwischen Saudi-Arabien, Pakistan und Indonesien. Der Kölner plädiert deshalb für eine säkularisierte Betrachtungsweise des Islams. Die wesentlichen Grenzen verliefen heutzutage nicht mehr zwischen den Religionen, sondern zwischen Stadt und Land, zwischen arm und reich. Ein Hauptstädter aus Istanbul hat mit einem Bauern in Anatolien weniger gemein als mit einem Hauptstädter aus Paris oder Berlin.

Peter Heine sieht das Risiko darin, dass die überwiegende Mehrzahl der Muslime heute in Ländern der Dritten Welt leben, wo sie mit schwierigsten ökologischen Bedingungen zu kämpfen haben. Wenn die Fundamentalisten nun erklärten, alles sähe ganz anders aus, wenn sich ihre Regierungen an den Koran gehalten hätten, so habe das für die Menschen dort eine gewisse Schlüssigkeit. Not macht anfällig für einfache Lösungen. Aber die Fundamentalisten hätten eigentlich kein Konzept, um auf die Herausforderungen der Gegenwart zu antworten. Würde es ihnen trotzdem gelingen, in einigen Ländern die Macht zu übernehmen, sieht Heine eine gefährliche Destabilisierung voraus. Um dem zuvorzukommen, müsse der Westen enger mit den internationalen islamischen Organisationen kooperieren. Sagt der Orientalist und holt den Besen aus der Kammer, um ein wenig vor der eigenen Tür zu kehren: Bis in die Mitte dieses Jahrhunderts hinein sei die Orientalistik nämlich eine reine Buchwissenschaft gewesen, die den Islam aus der Position eines aufgeklärten und daher überlegenen Europäers betrachtete.Die Ringvorlesung "Staatsbürgerschaft und Ethnizität" findet im 14tägigen Abstand dienstags statt, 16 bis 18 Uhr, Universitätsstraße 3b, Raum 001 (nächste Veranstaltung heute). Die nächste Veranstaltung "Muslime in Deutschland und Europa" findet am 22. November um 19 Uhr statt, Ort: Heinrich-Böll-Stiftung, Rosenthalerstraße 40-41, Berlin-Mitte

Torsten Krüger

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