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Berlin: Der Fluss der Sommerfrischler

In Schlingen und Kehren fließt die Havel durchs Land, ihre Seen sind wie an einem blauen Band aufgereiht. 1929 zogen diese Reize den Autor C.S. Forester an – doch er staunte auch über die halb nackten Paddler

Mr. Cecil Scott Forester war über die Freizügigkeit der Sommerfrischler auf der Havel doch recht verwundert. Der britische Schriftsteller fuhr Ende der zwanziger Jahre mit seiner Frau in einer Barkasse flussaufwärts, sie tuckerten gerade an Ketzin und Paretz vorbei und bahnten sich ihren Weg durch Flotten von Paddelbooten. Das erinnerte Forester an die Schilderungen berühmter Weltumsegler aus der Südsee, deren Schiffe von Indiokanus umringt wurden – zumal die Insassen hier wie dort ähnlich sparsam bekleidet waren: „Die übliche deutsche Ferientracht“, schreibt Forester, „würde in England entrüstete Proteste hervorrufen, und in den Vereinigten Staaten käme die Trägerin augenblicklich hinter Schloss und Riegel.“

C.S. Forester verfasste Romane über Seekriegshelden wie Kapitän Horatio Hornblower, dessen Abenteuer in den Napoleonischen Kämpfen sechs Forsetzungsbände füllen, doch auf Studienreise in Brandenburg schildert der damals knapp dreißigjährige Autor ganz andere Szenen. Zum Beispiel am Havelufer, wo viele „Pärchen, das Mädchen im Unterkleid, in liebevoller Umarmung im Schatten des am Baume hängenden Frauenkleides saßen.“

Die Foresters waren keineswegs touristische Exoten auf der Havel. Der längste Fluss Brandenburgs zog schon damals Reisende aus ganz Europa an und machte dem Rhein, der Mosel oder Donau kräftig Konkurrenz.

Denn im Vergleich zu diesen stark regulierten Strömen blieb die Havel bis heute recht unberührt. Besonders in ihrem faszinierendsten Abschnitt – zwischen Potsdam, Werder, Deetz, Götz und der Stadt Brandenburg – ist die ursprüngliche, natürliche Schönheit alter Flusslandschaften erhalten. In Schlingen und Kehren mäandert die Havel durchs märkische Land, verläuft sich in Seitenarmen, bildet Inseln, Buchten und eine Fülle von Seen, die wie an einem blauen Band aufgereiht sind – verschwenderisch eingebettet in Obstplantagen und die Heimat der Störche: Wiesen, feuchte Niederungen und Auwälder.

Wenn der Wind durchs Schilf raschelt und die Reiher übers Wasser segeln, könnte man meinen, nichts habe sich seit den Tagen Theodor Fontanes verändert. Immerhin erklärte der Dichter, die Havel sei sein Lieblingfluss, „apart und prächtig“, geschmückt mit Havelschwänen, denen er in seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg ein Kapitel widmet.

Viele Badegäste werden in diesem Sommer ähnlich schwärmen, wenn sie sich an den Sandstränden bei Phöben, Paretz oder Ketzin vergnügen, während die Ausflugsdampfer vorbeibrummen – ein Bild, das an den Ufern anderer Flüsse nur noch als historische Ansicht existiert.

Die nasse, stille „Preußenwiege“, so Fontane im Gedicht Havelland, ist eben aus vielerlei Gründen ein Unikum: Ihr Wasser eignet sich zum Baden, nur im Hochsommer trüben Grünalgen hin und wieder die Freude. Außergewöhnlich ist auch das geringe Gefälle auf einer Länge von 341 Kilometern. Zwischen dem Quellsee an der Müritz in Mecklenburg und ihrer Mündung hinter Havelberg in die Elbe beträgt der Höhenunterschied nur 39 Meter – entsprechend gering ist die Strömung. Und als einziger größerer Fluss Deutschlands fließt die Havel von Nord nach Süd. Dabei windet sie sich derart heftig, dass Quelle und Mündung trotz der stattlichen Gesamtlänge verblüffend nah beieinander liegen: Die Entfernung per Luftlinie beträgt nur 90 Kilometer.

Mangelnde Gradlinigkeit, das ist von alters her ihre Stärke. Deshalb verliebten sich etliche Preußenkönige in den Fluss und schufen am Wasser zwischen Potsdam und Berlin ihr preußisches Arkadien. Deshalb ließen sich Friedrich Wilhelm III. und Luise in Paretz ein Schlösschen bauen – für glückliche Sommertage.

Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Idylle allerdings stark gestört: Rund um Ketzin, Deetz und Götz entstanden Fabriken. Arbeiter schürften Ton aus zahllosen Gruben an der Havel, formten Ziegelsteine und brannten sie im Winter. Nachts war der Himmel rot, Schornsteine qualmten. Millionen Ziegel schaffte man auf der Havel nach Berlin.

Doch zu Beginn des 20. Jahrhunderts endete der Bauboom, Ziegeleien gingen pleite, ihre Tongruben liefen voll Grundwasser und sind seither eine Attraktion für Angler und Naturfreunde. „Erdlöcher“ heißen diese merkwürdigen Gegenden, man fährt teils auf Dämmen durch Wald – zwischen unüberschaubar vielen verwunschenen Teichen.

Heute lebt das Land an der Havel von solchen Reizen. Die Region setzt auf sanften Tourismus und hat sogar Bergwanderern etwas zu bieten. Immerhin ist es dort für Brandenburger Verhältnisse überraschend gebirgig. Phöben schmiegt sich ans Ufer zwischen Fluss und Wachtel- und Haakberg, Götz hat den Götzer Berg, mit 110 Metern der zweithöchste Gipfel Brandenburgs. Und vom Deetzer Mühlenberg blickt man weit über die vom Deutschen Anglerverband zum „Fluss des Jahres 2004“ gekürte Havel.

Damit wollen die Angler den Aufstand gegen den geplanten Ausbau zur Bundeswasserstraße stärken. Doch für dieses Vorhaben ist bis 2010 ohnehin kein Geld da. Angepackt werden stattdessen Naturschutzprojekte wie Röhrichtpflanzungen. Statt der Containerschiffe sollen wieder empfindliche Störe im Fluss schwimmen, dessen Fischreichtum schon heute etliche Berufsfischer ernährt. Die Havel macht ihrem Namen alle Ehre: „Hava“ heißt im Slawischen Wasser.

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