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Berlin: Der Herr aller Tiere

Nur noch wenige Tage ist Jürgen Lange Direktor des Zoos und verantwortlich für seine 13 000 „Viecher“. Seinem Nachfolger hinterlässt er einen wohlgeordneten und vor allem viel besuchten Betrieb

Er wäre dankbar, wenn sein Kopf nicht in der Sammlung auftauchen würde. Jürgen Lange lacht, während er im Zoo an den in Bronze gegossenen Häuptern der ehemaligen Direktoren vorbeigeht. Eine solche Ehrung wäre ihm unangenehm. Anspruch auf einen Platz in der Galerie nahe des Flamingo-Geheges hätte er aber schon bald: Ende Januar, pünktlich zum 65. Geburtstag, nimmt der Leiter des Zoos seinen Abschied. Ein bisschen traurig sei das natürlich immer, sagt Lange, während er später der Fütterung der Seehunde zuschaut. Schließlich habe er das Glück gehabt, sein Hobby zum Beruf machen zu können. Allzu viel Zeit für Wehmut hatte er bisher aber nicht. Noch gibt es viel zu tun, und auf seinem Schreibtisch türmen sich die Akten.

„Die Viecher“, sagt Lange, wenn er über seine Tiere spricht. Aus seinem Mund klingt das fürsorglich. Wie viele es genau sind, weiß er gar nicht, schließlich könne er die Ameisen ja nicht einzeln zählen. Er schätzt, dass sich etwa 13 000 Tiere und mehr als 1000 Tierarten in seinem Zoo tummeln. Zu fast jeder davon hat er bei einem Rundgang eine Geschichte parat. Er erzählt von den Leuten, die heimlich ihre Piranhas in offenen Becken aussetzen, von einer Frau, die zu den Tigern sprang, um ihren Kindern zu beweisen, dass das auch nur harmlose große Katzen seien. Und von den afrikanischen Achatschnecken weiß er, dass ihre Häuser schon zum Drogenschmuggel verwendet wurden.

Rund 30 Jahre hat Lange mit seinen „Viechern“ verbracht. Erst als Leiter des Aquariums, seit 2002 als Direktor des gesamten Zoos. Der studierte Biologe und Antilopenexperte wohnt sogar auf dem Gelände, seit er vom Stuttgarter Zoo nach Berlin kam und die Zimmer direkt über dem Haifischbecken des Aquariums bezog. Aus der Wohnung wird er im Februar ausziehen. „Der Abstand ist wichtig“, sagt Lange. „Das Privatleben kam in den letzten Jahren doch arg zu kurz.“ Nicht selten habe er sich noch nachts um technische Pannen kümmern müssen. Auch hätten Hobbyaquarianer in Sorge um ihre Fische seinen Büroanschluss gerne und regelmäßig als Erste-Hilfe-Hotline missbraucht. Seine freie Zeit möchte er jetzt zur Vollendung eines zoologischen Fachbuchs verwenden und später Reisegruppen durch die Antarktis und Kenia führen.

Lange hinterlässt in Charlottenburg einen gut laufenden Betrieb, den ab Februar sein Nachfolger Bernhard Blaszkiewitz leitet, derzeit Direktor des Tierparks in Lichtenberg und künftig auch für die Anlage in Charlottenburg zuständig. Zuletzt zählte der 1844 gegründete Zoo, der als der artenreichste der Welt gilt, rund 2,5 Millionen Besucher jährlich. Lange spricht von einem regelrechten Besucherboom in den letzten Jahren. Berlin habe Glück, sagt er. Die Stadt sei so tierverrückt, dass Nachwuchs bei den Pandas eine ähnliche Aufregung produzieren würde wie Nachwuchs im japanischen Königshaus. Trotzdem blieben auch erfolgreiche Tiergärten – wie Opernhäuser – immer „Zuschussbetriebe“.

Sorgen macht sich Lange um die Touristen, die 65 Prozent der Besucher ausmachen. Deren Ausbleiben fürchtet er, weil der Bahnhof Zoo nicht mehr vom Fernverkehr angefahren wird. Folglich habe er nichts gegen den geplanten Bau des Riesenrades am Zoo einzuwenden. Im Gegenteil. Das Rad könne ein zusätzlicher Publikumsmagnet werden, hofft er. Dass die Tiere durch den Betrieb gestört würden, hält er für „Blödsinn“. Der seit Jahrzehnten an den Gehegen vorbeilaufende Zugverkehr wäre ja auch kein Problem.

So stört es die lärmresistenten Tiere wahrscheinlich auch nicht, dass derzeit an mehreren Stellen gebaut und renoviert wird. Ende Februar soll beispielsweise das neue Nachttierhaus unter dem Raubtierhaus eröffnet werden, auch für das recht neue Pinguinhaus gibt es schon weitere Ideen.

„Der Betrieb eines Zoos ist heutzutage eine andere Aufgabe als noch vor einigen Jahren“, sagt Lange. „Die Leute wollen heute keine Tier-, sondern am liebsten eine Naturausstellung sehen. Die meisten unserer Besucher fänden es am besten, wenn sie mitten durch die Gehege laufen könnten. Auf einem historischen Gelände wie unserem gestaltet sich das manchmal ein bisschen schwierig, aber wir wollen natürlich mit der Zeit gehen.“

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