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Abschied vom Sender Freies Berlin: Der Hörer (Ost)

Der Blick auf den SFB aus Richtung Osten

Der SFB ist daran schuld, dass ein braver Siebtklässler Anfang der 80er Jahre zum Schulschwänzer wurde. Er wollte Montagnachmittag lieber den „Hits für Fans“ im Radio lauschen als der Lehrerin im Englischunterricht zuhören, wie nah die Kommunistische Partei der USA kurz dem Sieg ist.

Wie es sich für ein Kind des Sozialismus gehörte, blieb es natürlich nicht allein dem Unterricht fern. Nein, die Schüler der 7a der Pankower Johannes-R.-Becher-Oberschule schwänzten gemeinsam, um bei „Hits für Fans“ die neuesten Titel von Depeche Mode, Kajagoogoo und Thompson Twins mitzuschneiden. Aktuelle Westmusik gab’s im Osten nicht zu kaufen, und das ungeliebte DDR-Radio brachte kaum Titel von drüben (und wenn, dann liefen sie eh unter Ausschluss der Öffentlichkeit). Zudem spielte Moderator Andreas Dorfmann die Titel aus – ohne das übliche Drauf- und Dreingequatsche. Da lohnte sich das Schwänzen. Das Ende vom Lied: Die Schule kapitulierte vor den Kapitalisten. Der Stundenplan der 7a wurde geändert, der Montagnachmittag war künftig frei.

Doch nicht nur Andreas Dorfmann hatte ein Herz für Musikfans. Donnerstags um 20 Uhr wanderten die Finger der Hörer über die Tasten der Recorder zwischen Pankow und Köpenick, wenn Jürgen Jürgens mit seiner Sendung „Hey Music“ startete. Zwei Stunden Hits nach Hörervotum, ausgespielt bis zur letzten Achtelnote – Jürgen Jürgens ersetzte eine ganze Musikindustrie. Er brachte auch mal eine ausgefallene Langversion (die Kassette mit einem viertelstündigen „Relax“, dem ersten Hit von Frankie goes to Hollywood, liegt bis heute im heimischen Memorabilia-Fach). „Hey Music“ ist es zu verdanken, dass in den Ost–Berliner Discotheken keiner zu den DDR-Bands wie Puhdys und Karat tanzen musste. Bei „Hey Music“ versorgten sich die Discjockeys – oder besser Tapejockeys – mit frischer Westware. Es war wohl die einzige, die es gratis im Osten gab.

Ansonsten hatten man als junger Ost-Berliner zunemend Probleme, dem SFB zu folgen. Es gab zwar den s-f-beat, eine der ersten Jugendsendungen im Westradio, aber nicht nur Beat war in den 80ern schon lange out. Auch das einstmals revolutionäre Konzept der Sendung. Zudem ließ die Konkurrenz vom Rias gleich eine ganze Jugendwelle rollen: Rias2. Hier spielte die bessere Musik, hier riskierten die Moderatoren die kessere Lippe. Wie Uwe Schneider hatten sie beim SFB ihr Handwerk gelernt.

Zuhause entbrannte derweil der Kampf am Radioknopf. Die Eltern hielten dem SFB die Treue, schwörten auf „Ü 1 im Ohr“ (die Live-Reportage aus dem Übertragungswagen) und „Ö 3-Wecker“ (die samstägliche Ösi-Dröhnung mit „Dalli-Dalli“-Jurorin Brigitte Xander aus Wien). Und schon gar nicht waren sie vom Radio fortzukriegen, wenn Juliane Bartel am Mikro saß. Die Frau war damals – so würde man heute sagen – Kult. Einig waren sich Jung und Alt nur, wenn das SFB-Frauenmagazin begann. Dann hieß es: „Schalt Dein Radio an – Jugendwelle Rias 2 auf Neun-Vier-Drei!“

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