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Berlin: Der klare Blick aufs Kleingedruckte

Den ganzen Tag lang beschäftigt sie sich in ihrem Job mit Essen: Gisela Olias ist Biologin am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Nach welchen Kriterien sucht eine Fachfrau ihre Lebensmittel aus?

Heute klappt es gerade noch: Ehe die Händler auf dem Wochenmarkt in Bergholz-Rehbrücke zusammenpacken, kann Gisela Olias dort, ganz nah bei ihrem Arbeitsplatz, noch Champignons, Petersilie und Feldsalat einkaufen, dazu zwei Kilo Äpfel. Und Suppengrün, weil sie lieber frische Suppen isst als die aus Tüten, die meist sehr salzig sind und kaum wertvolle Nährstoffe enthalten. Nicht zu vergessen eine rote und eine grüne Paprika und eine Salatgurke, die Sorten Rohkost, die ihr zehnjähriger Sohn gern mit in die Schule nimmt. Die Pilze will die Sprecherin des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) zum Abendessen schmoren. „Mit frischer Petersilie schmeckt das himmlisch.“

Am nächsten Tag steht der Supermarkt auf dem Programm. Gisela Olias hat wenig Freizeit. Da ist es ihr recht, dass sie auf engem Raum ein großes Sortiment findet. Und jetzt kommen auch abgepackte Lebensmittel in den Korb, die kennzeichnungspflichtige Zusatzstoffe enthalten können.

Am Regal mit den Nudeln führt kein Weg vorbei, vor allem, wenn man Kinder hat. Tomatenpüree wird gebraucht, als Grundstock für eine Nudelsauce. Es besteht aus dem eingedickten, passierten Mark reifer Tomaten und enthält, anders als viele Ketchup-Sorten, keine künstlichen Aromastoffe, Verdickungsmittel und Geschmacksverstärker. Unter den Geschmacksverstärkern sind vor allem die Salze der Glutaminsäure in die Diskussion geraten, besser bekannt als Glutamat. Der Lebensmittelzusatzstoff wurde sogar verdächtigt, das „Chinarestaurant-Syndrom“ mit Schwindel und Übelkeit auszulösen. Freies Glutamat findet sich aber auch in Lebensmitteln wie reifen Tomaten, Erbsen und Käse, es hebt den Geschmack hervor. Schon deshalb rät die Ernährungsexpertin zur Gelassenheit. Wird Glutamat Lebensmitteln eigens zugesetzt, unterliegt es der Kennzeichnungspflicht und bekommt eine E-Nummer zwischen 620 und 625.

Bei den Konserven greift Gisela Olias ohnehin nur zum Klassiker Gewürzgurken („die liebt mein Sohn“) und zu Heidelbeeren im Glas, mit denen sich Pfannkuchen gut füllen lassen. Salz muss auch noch mitgenommen werden. „Ich nehme jodiertes, ab und zu auch fluoridiertes, wegen des Kariesschutzes.“

Fruchtjoghurt, den ihr Mann gern isst, enthält viel Zucker. „Mein Mann ist sehr schlank und kann sich das leisten“, sagt sie. Frische Früchte sind sehr wenig darin, nur sechs Prozent müssen es laut Vorschrift sein, bei „Joghurt mit Fruchtzubereitung“ sogar nur 3,5. Die Aufschrift „natürliches Aroma“ heißt nicht, dass Erdbeere drin ist, wo Erdbeere draufsteht. Das Aroma könnte zum Beispiel auch aus Schimmelpilzen gewonnen sein, die auf Holzspänen wachsen. Auch die Farbe muss nicht von der Erdbeere stammen. Künstliche Farbstoffe, die sich auch in vielen Konfitüren finden, sind ebenfalls mit E-Nummern gekennzeichnet, E 123 zum Beispiel für den synthetischen kirschroten Farbstoff Amaranth, der bei empfindlichen Menschen Allergien auslösen kann.

Gisela Olias überlegt kurz, ob sie einen Liter frische Milch in den Einkaufswagen legen soll. Wäre dumm, wenn sie schlecht wird, weil die drei keine großen Milchtrinker sind. Mit H-Milch passiert das nicht so schnell, und als Ernährungs-Profi sagt sie sich, dass beim Prozess des Haltbarmachens nur wenig Vitamine verloren gehen. Am Eierregal entscheidet sie sich für Bio – „und das vor allem aus Tierliebe“.

Je näher man der Kasse kommt, desto aufdringlicher geraten die Lebensmittel in den Blick, die eigentlich nicht so dringend in den Einkaufswagen und auf den Speiseplan gehören, Schokoriegel etwa. Hat ihr Sohn früher, als sie noch oft mit ihm im Schlepptau einkaufen ging, an der Kasse nicht auch nach etwas Süßem gebettelt? Kategorisch verboten hat sie ihm so etwas selten, sagt sie. „Ich wurde aber auch nie wirklich auf die Probe gestellt, mein Sohn mag gar nicht so gern Schokolade. Überraschungseier hat er sich eher wegen des Spielzeugs gewünscht.“ Weiße und Vollmilchschokolade enthalten zu mehr als 20 Prozent Milchpulver. Das ist nicht wenig. Daher ist der Kalzium- und Phosphorgehalt – beides wichtige Mineralstoffe für die Knochenbildung – von Vollmilchschokolade bezogen auf 100 Gramm auch etwa doppelt so hoch wie der von Milch oder Joghurt. „Dennoch würde ich nicht empfehlen, Milch durch Schokolade zu ersetzen. Schokolade enthält auch sehr viel Zucker, Fett und damit Kalorien. Und Übergewicht ist bei Kindern heute ohnehin ein Problem.“

Ein „gemeinsames Laster“ von Mutter und Sohn sind Kartoffelchips. Natürlich nimmt sie eine Packung mit. „Die werden aber für die Woche reichen.“ Auch wenn ihre ausgeklügelte Rezeptur sie so würzig macht, dass sie den Speichelfluss anregen und viele Leute zum Weiteressen verführen. Dazu nimmt sie ein paar Cashewnüsse, die mögen beide auch gern. „Sie haben zwar viele Kalorien, enthalten aber auch Vitamine und Phosphor, Magnesium und Kalium.“

Beruhigend findet sie, dass das Kind gern Äpfel und Birnen isst – und Gemüse, aber eigentlich nur im Rohzustand. „Gekochtes Gemüse kommt bei ihm besser an, wenn wir es ‚verstecken' oder pürieren.“ Als gute Suppenköche haben seine Eltern darin Übung. Dass Gisela Olias den ganzen Tag über Essen reden, schreiben und recherchieren muss, hat ihr den Genuss daran nicht verdorben.

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