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Berlin: Der Modellbauer

Sein Lieblingsstück ist der Wolf, aber Manfred Gräfe hat auch Flusspferd Knautschke präpariert. Beide Tiere sind ab Mittwoch zu sehen

Vom Timberwolf bekommt er nur das Fell. Es stammt aus Alaska. Manfred Gräfe, der für eine Ausstellung über Hunde und ihre Urahnen einen Wolf präparieren soll, ist zunächst etwas ratlos. Ein Fell allein ist wenig für einen Tierpräparator. Er weiß sich zu helfen, geht häufig in den Berliner Zoo, sieht sich immer wieder die weißen Polarwölfe an, bis er sich Körperhaltung und Bewegungsablauf „wie im Film“ eingeprägt hat. Dann modelliert er drei Wochen lang mit Feingefühl einen Ton- und Gipskörper, überzieht ihn mit dem gegerbten Fell, setzt Augen ein, Nachbildungen von Gebiss und Zunge, schminkt etwas nach – fertig ist der große Wolf. Das ist ein paar Jahre her.

Jetzt zeigt Gräfe eines seiner Lieblingstiere im Ephraim-Palais. Wie das berühmte Flusspferd Knautschke, das nun wieder auf die Beine gekommen ist. Der Bulle war der prominenteste Bewohner des Berliner Zoos in der Nachkriegszeit, hatte mit 90 anderen Tieren den Bombenhagel überlebt, musste aber 1988 eingeschläfert werden. Jetzt steht sein plumper Körper mit den gutmütigen Augen in barocker Umgebung und wirkt wieder sehr lebendig. Sogar die Stelle, an der ein sehr langer Unterkieferzahn ein Loch durch die Oberlippe bohrt, ist zu sehen. Das war Knautschkes Merkmal. Beim Präparieren entdeckte Gräfe „richtig schön vernarbtes Gewebe“, das Flusspferd hat wegen des Zahns offenbar nicht gelitten.

Knautschke ist mit anderen Tieren auch anderer Präparatoren, mit Fotos, Gemälden und Dokumenten über Menagerien und die Entwicklung von Zoo und Tierpark in der am Mittwoch startenden Ausstellung „Affentheater und andere Viechereien“ zu sehen. Sie wird im Ephraim-Palais der Stiftung Stadtmuseum Berlin gezeigt. Der Flusspferdbulle trägt allerdings nicht seine alte Haut, sondern eine nachgebildete aus Gips. Sie sieht echter aus als die haarlose Hülle, die tiefgefroren und gegerbt eingelagert ist. Knautschkes Kopie ist so groß, das sie aus neun Teilen zusammengesetzt werden muss. Sie lagert normalerweise in der naturwissenschaftlichen Sammlung der Stiftung am Schloss Charlottenburg. Im Ephraim-Palais jedoch ist Platz genug, das Tier in all seiner Fülle zu zeigen. Knautschke ist also nicht klassisch ausgestopft.

Ausstopfen, sagt Gräfe, stimmt sowieso längst nicht mehr. Die Zeiten seien vorbei, als Felle toter Tiere, von Eisengerüsten gestützt, mit klein gehacktem Seegras oder Holzwolle verfüllt wurden. Die Ergebnisse waren nicht immer erfolgreich, die nachgebildeten Tiere verformten sich zu plumper Masse. Heute müssen Präparatoren Anatomie-Kenntnisse haben, das Skelett aufbauen, fast jeden Muskel in Ton modellieren, davon dann Gipsabdrücke machen und später die Haut auftragen. Nur so kommen lebensechte Präparate zustande. Mit der Darstellung Knautschkes hat Gräfe, Mitarbeiter des Stadtmuseums, viele Monate verbracht. Bei der Arbeit entstand zwischen ihm und dem Flusspferd ein beinahe persönliches Verhältnis. Das ist bei vielen seiner hunderten von Tieren so. „Manchmal rede ich mit ihnen“, sagt er. „Und mit Knautschke habe ich sogar ein bisschen geschimpft.“ Das geschah immer dann, wenn beim Zusammenbauen für die Ausstellung Teile nicht zusammenpassen wollten. Nun sind beide versöhnt.

Manfred Gräfe, 46, wollte als Kind Tierfilmer werden. Ihn faszinieren auf dem Schulweg in Ratingen bei Düsseldorf die toten Tiere auf der Straße, meist Amseln und Meisen. Und ihr erbärmlicher Anblick deprimiert ihn. Er will sie auf seine Art wiederbeleben. Also nimmt er einige mit nach Hause, zieht Haut und Federn ab. Er hat ein Talent zum Modellieren, schnitzt kleine Vogelkörper aus Wachs, stülpt das Federkleid über. Der Weg bis zum Flusspferd ist noch weit.

Christian van Lessen

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