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Berlin: Der Politiker, der dem Schriftsteller die Schau stahl

Mafiajäger Leoluca Orlando wollte sein Prosadebüt vorstellen

Das Namensschild steht auf dem Tisch, das Mikrofon ist ausgerichtet für den Schriftsteller Leoluca Orlando. Seit wenigen Tagen steht sein Erzählband „Der sizilianische Karren“ in deutschen Buchhandlungen. Der Stuhl hinter dem Namensschild bleibt leer. Und wenige Meter entfernt steht einer, der den Literaten Leoluca Orlando und seine 46 in schlichter Sprache geschriebenen Prosaminiaturen quasi ungeschehen macht: der Politiker Leoluca Orlando.

Der sagt griffige Sätze wie: „Ein korrupter Politiker ist schlimmer als ein schlechtes Gesetz“. Oder: „Die armen Leute sind die echten Lehrer.“ Kleine Aperçus, die etwas populistisch klingen und pathetisch. Aber man darf Orlando wohl glauben, dass das Pathos echt ist. Denn er spricht im Siemensforum im Berliner Westen über ein Thema, mit dem er verwachsen ist: die sizilianische Mafia. Er hat sie erfolgreich bekämpft, seit er 1985 Bürgermeister der damaligen italienischen Mafiahauptstadt Palermo wurde. Als er nach fünfzehn Jahren aus dem Amt schied, führte er seinen Aufklärungs-Feldzug gegen „die Krake“ fort. Heute sitzt Orlando als Abgeordneter im italienischen Regionalparlament, im Europaparlament und schreibt Bücher.

Leoluca Orlando stützt sich mit beiden Armen auf ein schwarzes Rednerpult oder gestikuliert mit den Händen. „Früher hat in Sizilien niemand das Wort Mafia benutzt. Dabei hasst die Mafia die Öffentlichkeit. Es ist eine Waffe, wenn man über sie spricht“, sagt er. Kurze Pause. „Früher hat Sizilien die Mafia exportiert. Heute exportiert Sizilien die Therapien gegen mafiose Strukturen.“ Ehre, Familie, Freundschaft – die Mafia habe die Kultur Italiens erst korrumpiert, dann zersetzt. Und mit ihr das Selbstbewusstsein der Menschen, sagt Orlando. „Der Terrorismus tut das auch, der baskische, der islamistische. Jeder Terrorismus.“

Orlando hat diese Rede so oder so ähnlich immer wieder gehalten. Oder aufgeschrieben. In Berlin benutzt er etliche Sentenzen, die man nachlesen kann in seiner Autobiografie „Ich sollte der nächste sein“.

Als er für einige Minuten seine randlose Brille weit vorne auf der Nase platziert, entspricht Leoluca Orlando dem Klischee des Schriftstellers, das er vermutlich nie erfüllen wird. Seine Literaturagentin sagt nach der Veranstaltung lächelnd: „Das kriegen wir noch hin“. Der Politiker in ihm werde nie stillhalten, sagt der Mafiajäger. Er sieht älter aus als auf den Fotos seines Verlages. Ein wenig grau, mit tieferen Falten um die Augen.

Noch immer steht er auf den Todeslisten der Mafia. Ob er Angst habe? Nein, seine Methode sei sicher: „Immer gegen die Nummer Eins sein, in Italien gegen Berlusconi. Dann ist man in der Öffentlichkeit und es passiert nichts“. Der Ammann Verlag hat eine andere Schutz-Strategie. Mannheim und Wuppertal sind für Lesungen tabu. Dort wohnen die Familien einiger Mafiosi, die wegen Orlando im Knast sitzen.

Marc Neller

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