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Berlin: Der qualvolle Tod eines verlassenen Kindes Im Mordprozess zeigte die Mutter, die ihren zweijährigen Sohn verdursten und verhungern ließ, kaum Gefühle

Von Kerstin Gehrke „Ich habe ihn geliebt“, sagt die Angeklagte. Kein Zittern ist in der Stimme, keine Tränen fließen.

Von Kerstin Gehrke

„Ich habe ihn geliebt“, sagt die Angeklagte. Kein Zittern ist in der Stimme, keine Tränen fließen. Veronika W. sagt, sie habe die Wohnung einfach verlassen, es sei ihr an dem Abend sehr schlecht gegangen, sie habe „sehr viel“ Haschisch geraucht. „In dem Moment habe ich nicht an meinen Sohn gedacht.“ Die Angeklagte verliert zu Beginn des Prozesses nicht die Fassung. Sie bleibt auch regungslos, als ein Feuerwehrmann über die grausige Entdeckung in ihrer Wohnung sprach: „Alles war dunkel und extrem zugemüllt, der Kopf des Kindes war zwischen Bett und Sessel eingeklemmt.“ Die 22-jährige Veronika W. hatte ihren zweijährigen Sohn Alisan-Turan im November vergangenen Jahres verlassen. Sie zog die Tür des stockfinsteren Kinderzimmers zu, sie verschloss die Wohnungstür in dem Wilmersdorfer Haus. Sie kümmerte sich nicht mehr um den kleinen Jungen. Als er nach Beschwerden von Nachbarn über starken Gestank am 5. Januar gefunden wurde, hockte er zusammengekauert in einer Ecke. Das Gesicht zur Wand. Er war zwischen Bergen von Müll qualvoll verdurstet, sein Körper mumifiziert. War es Mord? Ließ die Mutter ihren Sohn „planmäßig verdursten“, wie es in der Anklage heißt? Wollte sie ihn loswerden, weil sie in ihm seinen Vater sah, weil er störte, wenn sie durch Kneipen ziehen wollte? Immer wieder fragten die Richter gestern: „Haben Sie gar nicht mehr an Ihren Sohn gedacht?“ Veronika W., eine Frau mit rundem Gesicht, Brille und blondem Zopf, blieb dabei: „Ich weiß nicht, ich hatte Angst vor dem Nachdenken, ich habe mich nicht mehr in die Wohnung getraut.“ Sie sprach von Drogen, von Depressionen und von ihren Eltern, die sich immer nur um Alisan-Turan, nicht aber um sie gekümmert hätten. „Mit Haschisch konnte ich die Probleme verdrängen“, sagte sie. Nach ihrer Darstellung begann alles mit dem Ende einer Betreuung durch das Jugendamt. „Der Druck war weg, keiner sagte mehr, was ich machen sollte.“ Sie, die wegen Drogenhandels vorbestraft ist, habe wieder Haschisch geraucht und sei wieder auf den Strich gegangen.

Veronika W. war Anfang der 90er Jahre mit ihrer Mutter aus Russland gekommen. Mit 17 brachte sie ihr erstes Kind zur Welt. Der Junge wurde zur Adoption freigegeben. Immer wieder gab es Streit mit der Mutter und dem Stiefvater. Ihre Tochter sei stur, habe Nachbarn bestohlen und oft gelogen, sagte ihre Mutter vor Gericht. Als Veronika dann mit dem zweiten Kind in der Wetzlarer Straße wohnte und alles so ordentlich aussah, habe sie gedacht: „Endlich lebt sie vernünftig wie andere Leute.“ In den Wochen nach dem Verlassen der Wohnung hielt sich die junge Mutter bei Freunden und Bekannten auf. Als sie ging, will sie nur ihren Leopardenmantel und eine Handtasche mitgenommen haben. Doch es gibt Indizien dafür, dass sie doch noch einmal in der Wohnung war. Eine ihrer Freundinnen sagte im Prozess, der Mantel sei erst Ende Dezember aufgetaucht. Veronika W. sei damals „partymäßig gut drauf“ gewesen. Man habe viel Spaß gehabt, auch gekifft. „Sie war aber immer ansprechbar, sie wusste immer, was sie tat.“ Der Prozess wird in einer Woche fortgesetzt.

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