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Berlin: Der Trainingsmeister

Dr. Fernando Dimeo, oberster Sportmediziner an der Charité, weiß, dass zu viel Laufen gar nichts bringt. Den Anfängerfehler hat er selber gemacht

„Mit 19 Jahren hatte ich ein großes Ziel. Ich wollte argentinischer Meister im 5000-Meter-Lauf werden. Mein Trainer und ich hatten einen Plan erarbeitet, der mich systematisch auf diesen Wettkampf vorbereiten sollte. Aber ich war übermotiviert und schummelte. Ich trainierte härter als vorgesehen, zehn bis zwölf Mal, insgesamt bis 200 Kilometer in der Woche. Aber irgendetwas stimmte nicht: Ich hatte bei jeder Stadionrunde ein Spannungsgefühl in den Oberschenkeln. Die Muskeln wurden einfach nicht locker. Meine Leistungen stagnierten, und ich wusste nicht, was mit mir los war. Ich fühlte mich einfach nur müde und demotiviert. Aber mein Ziel waren die Meisterschaften im Herbst. Dafür hatte ich sechs Jahre lang trainiert. Ich lief mit schweren Beinen. Und musste mich in Buenos Aires der Konkurrenz geschlagen geben. Ich bin Fünfter geworden. Frustriert legte ich eine Laufpause ein. Heute weiß ich, dass die Belastung zu groß war: Ich war übertrainiert. Das kann jedem Sportler passieren.

Mit 13 Jahren habe ich meine Leidenschaft für das Joggen entdeckt. Die Entfernung zwischen dem Haus meiner Eltern in Buenos Aires und dem meiner Großmutter betrug zwei Kilometer. Ich schnappte meine Sportschuhe, mein Vater hatte die Stoppuhr, und dann lief ich los. Als ich bei meiner Großmutter angekommen war, rief sie meinen Vater an. Der nahm die Zeit. So habe ich angefangen zu trainieren: immer die zwei Kilometer hin und zurück, jeden Tag, bis mich ein Trainer entdeckt und gefördert hat. Eines Tages sagten meine Eltern, ich solle die Schule nicht vernachlässigen. Sie erlegten mir ein Laufverbot für einen Monat auf. Das war hart und ich weiß immer noch nicht, ob es notwendig war, denn Sport steigert akademische Leistungen nachweislich.

Inzwischen leite ich den Bereich Sportmedizin der Charité und entwickle Trainingsprogramme für Ausdauerdisziplinen. Unser Schwerpunkt ist die Betreuung von Sportprogrammen für Patienten mit chronischen Erkrankungen. Außerdem betreue ich Sportler, von Einsteigern über Freizeitsportler bis hin zu Weltklasse-Athleten. Wenn ein Läufer zu mir kommt, der sich nicht leistungsfähig fühlt, unter Schlafstörungen und Appetitlosigkeit leidet, rate ich ihm, den Trainingsplan genau zu analysieren, auf die Ernährung zu achten, für ausreichende Erholungsphasen zu sorgen und gegebenenfalls zu pausieren. Denn wenn die Anzeichen von Überlastung nicht frühzeitig erkannt werden, hilft oft nichts anderes.

Ich selbst laufe drei Mal in der Woche, jeweils circa 15 Kilometer. Meist jogge ich vor dem Dienst, um Energie für den ganzen Tag zu tanken. Berlin ist wunderbar. Mitten in der Stadt gibt es sehr gute Strecken, viele Parks und weiche Böden, auf denen es sich sehr gut laufen lässt.

An einen Erfolg erinnere ich mich noch besonders gern. Bei meinem ersten Deutschlandbesuch 1990 startete ich bei den Freiburger Crossmeisterschaften und gewann. Ich bin wahrscheinlich der erste und einzige Argentinier, der Freiburger Meister im Crosslauf ist. Doch diese Zeiten sind vorbei. Meine drei Kinder gehen vor. Man ist gemütlicher geworden.“

Alle Serienfolgen im Internet unter www.tagesspiegel.de/laufen

Susan Mücke

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