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Berlin: Derbystimmung am Brett

Kreuzberg ist im Schach die Nummer eins – vor Neukölln

Ein Lokalderby hat so seine eigenen Gesetze. Meist geht es hoch her, die Emotionen sind geschürt und die Zuschauer holen das Letzte aus sich heraus, um das eigene Team anzufeuern. Das weiß jeder, der schon einmal bei Schalke gegen Dortmund im Fußballstadion war. Doch wie ist das beim Schach? Der SC Kreuzberg spielte am Wochenende gegen die Schachfreunde Neukölln. Die acht Spieler jeder Mannschaft sitzen sich an acht Tischen im Thomas-Dehler-Haus in Mitte gegenüber. Die Blicke fixieren das Brett. Und die Zuschauer? Die bewegen sich vorsichtig von einem Tisch zum anderen. Wo es spannend ist, bleiben sie ein paar Minuten stehen und schauen konzentriert zu. Auch, wenn sich gar nichts tut. Es wird geflüstert und mit dem Kopf genickt. Im Kopf spielt sich hier alles ab. Der Zuschauer beim Schach hat es nicht leicht. Er muss mitdenken, die Stellung ausloten, sonst sieht er nur Figuren auf einem Brett. Keinen Sport. Schon gar kein Derby?

Von der Papierform her waren die Kreuzberger leicht favorisiert. Und so kam es, dass nach dreieinhalb Stunden der Aufsteiger recht deutlich mit 5:3 gewann. Aber Schachspieler sind fair: „Wir hatten heute gar keine Chance“, gibt der Neuköllner Rainer Polzin ohne zu zögern zu. Obwohl er selbst an Brett Nummer fünf gegen Jens-Uwe Maiwald ein Remis erzielte. Und das Schöne beim Schach: Man kann die Niederlage nicht auf den Schiedsrichter schieben. Sondern ist in hohem Maße dafür selbst verantwortlich.

Nach den einzelnen Partien gehen die Kontrahenten in den Vorraum und spielen die Partie noch einmal nach. „Das ist normal, daraus lernen wir ja“, sagt Polzin, der doch etwas verärgert war. Genau wie sein Mannschaftskollege Dirk Poldauf, der nach einer anfangs besseren Stellung seine Partie gegen Drazen Muse noch verloren geben musste. „Ich habe zwei Varianten meines Gegners genau berechnet, aber die dritte habe ich nicht gesehen.“ Die war anscheinend ungewöhnlich.

Aber solche persönlichen Überraschungsmomente sind im Schach häufiger, als man denkt. Nach zwei Stunden müssen die Spieler jeweils 40 Züge gemacht haben. Sollte es ein Spieler nicht schaffen, verliert er die Partie. Schaffen es beide, geht es weiter. So war es in der letzten Partie von Stefan Löffler gegen Lars Thiede. Plötzlich ziehen beide Spieler wie wild mit ihren Figuren. „Da ist es sehr chaotisch zugegegangen“, sagt Norbert Sprotte, Vorsitzender der Kreuzberger. Denn eigentlich gibt es beim Schach zwei Phasen. Wenn man noch genügend Zeit besitzt. Und wenn es eng wird. Dann kann nicht mehr groß nachgedacht werden. Jeder Zug kann dann zum Verhängnis werden. „Das kommt öfter vor, als man denkt“, sagt Sprotte.

Zu den Spitzenzeiten des Derbys haben sich 80 bis 100 Zuschauer eingefunden. Das ist nicht schlecht für Berliner Verhältnisse. Und beide Mannschaften wissen, dass sie voneinander profitieren. Wenn beide Mannschaften sich in der Bundesliga halten würden. Kreuzberg steht nach diesem Wochenende deutlich besser da. „Sie können schreiben, dass wir im Augenblick die Nummer eins sind in Berlin“, sagt Sprotte stolz. Also doch Derbystimmung.

Jörg Petrasch

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