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Berlin: Deutsche und türkische Jugendliche trennen Welten

Deutsche und türkische Jugendliche in Berlin leben offenbar immer noch in zwei getrennten Welten und haben viele Vorurteile im Kopf: So halten die Deutschen ihre türkischen Altersgenossen beispielsweise für viel religiöser, als sich die Türken selbst sehen. Zudem denken deutsche Jungen, dass türkische Mädchen viel strenger und konservativer erzogen werden, als die Mädchen es selbst empfinden.

Deutsche und türkische Jugendliche in Berlin leben offenbar immer noch in zwei getrennten Welten und haben viele Vorurteile im Kopf: So halten die Deutschen ihre türkischen Altersgenossen beispielsweise für viel religiöser, als sich die Türken selbst sehen. Zudem denken deutsche Jungen, dass türkische Mädchen viel strenger und konservativer erzogen werden, als die Mädchen es selbst empfinden. Die Mehrzahl der türkischen, zu 80 Prozent in Berlin geborenen Jugendlichen ist sich nicht sicher, ob sie ihr Leben lang in Deutschland bleiben möchte. Nur rund 3,5 Prozent der befragten Türken fühlen sich "der deutschen Kultur zugehörig". Zu diesen Erkenntnissen kommt eine von der im Fachbereich Erziehungswissenschaft, Psychologie und Sportwissenschaft der Freien Universität erstellte, nicht veröffentlichte Studie, deren Ergebnisse dem Tagesspiegel vorliegen.

Für das vom Lehrbeauftragten Said Ibaidi initiierte Forschungsprojekt befragten Studenten Ende 1997 genau 629 Hauptschüler sowie 476 Gymnasiasten von elf Schulen in Wedding, Neukölln, Kreuzberg und Schöneberg. Mit den Fragebögen sollten die sozialen Beziehungen der 12- bis 20-Jährigen erfasst werden, die Mehrzahl der Befragten war zwischen 15 und 17 Jahren alt. Befragt wurden 507 Deutsche und 598 Türken. "Bei den Jugendlichen differieren Eigen- und Fremdwahrnehmung sehr stark", fasst Ibaidi das Ergebnis zusammen. Damit widerlege die in diesem Umfang bislang einmalige Untersuchung das eher positive Stimmungsbild einer Erhebung der Ausländerbeauftragten über das Zusammenleben von deutschen und ausländischen Schülern.

Demnach ist die Identifikation der jungen Türken mit Deutschland nicht besonders ausgeprägt. Auf die Frage "Willst Du in Deutschland bleiben?" antworteten nur 35,6 Prozent der türkischen Jungs und 33,8 Prozent der türkischen Mädchen mit "ja". 46,1 Prozent der männlichen und 52 Prozent der weiblichen türkischen Befragten sagten, "weiß ich nicht". Die Antworten zeigten aber auch, dass Jugendliche ihre Zukunft unabhängig von den Eltern gestalten wollen. Auf die Frage, welcher Kultur sich die jungen Ausländer zugehörig fühlten, kreuzten 68 Prozent "der türkischen" an, nur rund 3,5 Prozent gaben die deutsche an. Einige wenige setzten "deutsch-türkisch" unter die Antwortvorgaben. Türkische Jungs schätzen das Ansehen ihrer Familien in der Gesellschaft höher ein als deutsche Jungs den Stand ihres Elternhauses. "Vor allem türkische Hauptschüler wollen sich nicht mit einem schlechten Bild ihrer Familien in der Gesellschaft abfinden", sagte der Wissenschaftler. Befürchtungen, Türken drifteten in religiösen Fanatismus ab, wurden entkräftet, sagte Ibaidi. "Man sollte religiöse Überzeugungen nicht mit Gewalt durchsetzen" - 52,2 Prozent der jungen Türken finden "stimmt ganz genau", 20,4 sagen "stimmt teilweise". Nur 7,7 Prozent der türkischen Hauptschüler gaben an, mehrmals in der Woche in die Moschee zu gehen, 44 Prozent kreuzten an, sie gingen "nie". Bei den Freundschaften ergab sich folgendes Bild: Deutsche Jungs fühlen sich bei deutschen Mädchen am wohlsten; türkische Jungs ziehen gleichaltrige Jungs vor.

Die Ausländerbeauftragte Barbara John sagte auf Anfrage, die Fragestellungen ließen nur extreme Entscheidungen zu. Sie "zwingen zu Bekenntnissen, die zu leicht als Abgrenzung interpretiert werden können". Die Angaben seien daher nicht als "Abkehr von der deutschen Kultur" zu verstehen.

Annette Kögel

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