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Deutschlandhalle: Kleckern statt klotzen am Messegelände

Bevor auf und um dem Messegelände am Funkturm Neues entsteht, geht die Entwicklung des Areals erst einmal in die andere Richtung: mit Abrissen und Schließungen.

Der Bauzaun steht schon. Hellbrauner Pressspan, eine Platte an die nächste getackert, einmal rum im wackligen Zickzackkurs über den längst überflüssigen Parkplatz. Weit und breit keine Lücke zum Durchschlüpfen, und ein gutmütiger Hausmeister mit großem Schlüsselbund ist auch nicht in Sicht. „Vergessen Sie es“, sagt der Mann von der Messe, „da lassen wir keinen mehr rein, ist zu gefährlich, und wer ist dann schuld, wenn Ihnen ein Stein auf den Kopf fällt?!“ Am nächsten Samstag kommen die Sprengmeister, es dauert nur drei Sekunden und eine Staubwolke, dann ist der Spuk vorbei. Wie schon einmal im Januar 1943, als Bomber-Harris die britischen Kampfflieger nach Eichkamp schickte. Aber anders als damals denkt im Herbst 2011 niemand an einen Wiederaufbau.

Es geht zu Ende mit der Deutschlandhalle. Unwiderruflich und für immer. Am 3. Dezember wird das Stahlgerüst des Daches gesprengt, die restlichen Abbrucharbeiten werden sich bis ins neue Jahr hinziehen. Die Zeit drängt, denn bis Ende 2013 will die Messe Berlin hier eine neue Halle errichten, erst einmal als Ersatz für das sanierungsbedürftige ICC. Für kleine Meetings, für große und mittlere, aber eben nicht für Menschen, Tiere, Sensationen, das Sechstagerennen oder die Rolling Stones. Es wird in nächster Zukunft also noch ein bisschen stiller werden im Südwesten Charlottenburgs, wo die Stadt zärtlich vom Grunewald aufgesogen wird und wo eigentlich nie etwas los war, bis die werdende Weltstadt Berlin in den Zwanzigerjahren den Funkturm, die Avus und das Messegelände mit der Deutschlandhalle ins Grüne klotzte.

Im dritten Jahrtausend nun scheint es den Weg zurückzugehen. Vor zehn Jahren haben Abrissbagger die Eissporthalle an der Jafféstraße plattgemacht. Das Tribünenhaus an der Avus verrottet jeden Tag ein Stückchen mehr. Das ICC wird demnächst für ein paar Jahre zur Generalsanierung geschlossen. Und der Zentrale Omnibus-Bahnhof (ZOB) unterm Funkturm hat seit der Verlagerung des Berliner Zentrums Richtung Osten auch ein bisschen von seiner Stellung eingebüßt. Von dort aus ist es ein gut zwanzigminütiger Spaziergang bis zur Deutschlandhalle. Es liegt nicht nur in der Natur des Novembers, dass so ein Spaziergang melancholisch ausfällt. Am ZOB wartet zur Mittagsstunde in den 37 Haltebuchten kein Bus. Das Bistro ist leer, von acht Ticketschaltern sind zwei besetzt, was ziemlich genau dem aktuellen Fahrgastaufkommen entspricht. Im Schaukasten davor warnt die Polizei: „Achtung, Hütchenspieler!“ Ach, die gibt’s auch noch?

Weiter durch den Tunnel unter der Neuen Kantstraße, der 1979 zur Eröffnung des ICC eingeweiht wurde. Auf dem dreigeschossigen Brückenbauwerk wirbt die Messe auf riesigen Tafeln für die „große Bootsmesse“ und den „großen Silvesterball“. Auch im diesigen Novemberlicht ist der einst silbern glänzenden Verkleidung nur zu deutlich anzusehen, dass der Sanierungsbedarf des Kongresszentrums sich nicht auf die veraltete Haustechnik reduziert. Wenn in zwei Jahren die neue Messehalle auf dem Boden der Deutschlandhalle fertig ist, wird das ICC zur Generalüberholung geschlossen.

West-Berliner Nostalgiker befürchten schon, die Messe könnte auf diesem Wege eines der teuersten, umstrittensten, aber auch spektakulärsten Bauwerke der Nachkriegszeit still und heimlich für überflüssig erklären. „Warum sollten wir?“, sagt Messe-Sprecher Michael T. Hofer. „Das ICC ist das bestgebuchte Haus Europas. Wir wollen expandieren, dafür brauchen wir neue Kapazitäten“, und die künftige Messehalle am Ort der Deutschlandhalle sei eben kein Kongresszentrum, „das würde man völlig anders konzipieren“.

Lesen Sie auf Seite zwei mehr über das Schicksal der Avus und des Messegeländes.

Hinter dem ICC beginnt die Avus, sie war bei ihrer Eröffnung vor 90 Jahren die erste Autobahn der Welt, gebaut für die Konkurrenzfähigkeit des deutschen Automobilsports. Heute quält sich der Berufsverkehr mit Tempo 60 über die Piste, sie wird seit Monaten saniert. Das letzte Rennen liegt 13 Jahre zurück, und es spricht wenig dafür, dass es in absehbarer Zukunft wieder losgeht. Schade für das 240 Meter lange Tribünenhaus. Ein paar von den tragenden Pfeilern sehen aus, als hätten Beton fressende Fledermäuse an ihnen genagt. Im vergangenen Jahr war der Gehweg unter der Tribüne für ein paar Wochen wegen Unfallgefahr gesperrt.

Das Tribünenhaus gliedert sich in 18 Blöcke mit separaten Aufgängen, die Türen strahlen seit der letzten Renovierung in BSR-Orange. Natürlich sind sie verschlossen, aber nach längerem Rütteln öffnet sich doch eine. (Welche, darf aus Unfallschutzgründen nicht verraten werden. Der Autor steht als bekennender Einbrecher ohnehin mit einem Bein im Gefängnis.) Der erste Blick geht nach links, hinüber zu Mercedes-Turm und Avus-Motel, dem früheren Verwaltungsgebäude. Es ist pastellgelb gestrichen und war vor ein paar Jahren im Hollywood-Film „Die Bourne Verschwörung“ zu sehen. Ein paar Meter weiter befand sich die berühmte, 1967 abgerissene und aus Backsteinen gemauerte Nordkurve.

Der zweite Blick ist weniger eindrucksvoll. Links und rechts stützen Gerüste die Konstruktion, auf den Stufen lagert Betonschutt, die Holzbänke verwittern, so sie noch nicht aus ihren Verankerungen gerissen sind. Unten am Zaun zur Autobahn wachsen erste Bäumchen. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz, was die Chancen auf rasche Umgestaltung nicht eben erhöht. Seit mittlerweile fünf Jahren ist sie im Besitz einer privaten Avus-Tribüne GmbH, die auf Anrufe und E-Mails nicht reagiert. Vor einem Jahr interessierte sich ein Investor für eine Rundum-Verglasung der Tribüne, um ein Museum einzurichten oder ein Restaurant. Lange nichts mehr gehört von dem Projekt.

Wenn die Avus-Tribüne noch sanierungsfähig ist, wie muss es dann erst schräg gegenüber in der seit 1998 geschlossenen Deutschlandhalle aussehen? Hoffnungsloser Fall, sagen sie bei der Messe. Das Dach ist schon vor drei Jahren wegen Einsturzgefahr gesperrt worden, und drinnen... nun ja. Das Mitgefühl der Berliner halte sich in Grenzen, sagt der Messe-Sprecher Hofer: „Es gibt keine Nostalgietouristen, die noch mal reingucken wollen. Höchstens neugierige Journalisten, aber für die können wir auch keine Ausnahme machen.“ Die Außenhaut ist schon abgezogen: An der südlichen Flanke schlängeln sich Kabel ins Irgendwo und nicht nur der Putz bröckelt. An der Front des Foyers fehlen ein paar Platten und Glasscheiben, auf zwei großen Transparenten macht ein Recycling-Unternehmen Werbung in eigener Sache.

Die alte, im Krieg zerstörte Deutschlandhalle erinnerte in ihrer Ästhetik an einen griechischen Tempel. Das entsprach 1935 dem Geschmack der Nazis. Auch der sachlicher gehaltene Neubau von 1957 hat etwas davon. Heute wirkt die Halle wie ein Fremdkörper zwischen den schicken Neubauten, dem Service-Center auf der rechten Seite und dem runden Südbau gegenüber, wo bis 2001 die Eissporthalle stand. Auch die neue Messehalle, konzipiert von einem Leipziger Büro, wird ein stromlinienförmiges Irgendwas.

Moderne Zeiten sind englischsprachige Zeiten. Das Messegelände heißt jetzt Expo Center City, und auch die neue Halle wird nicht namenlos bleiben. Vielleicht Expo City World, vielleicht Berlin Convention Hall. Oder wieder Deutschlandhalle...? „Kann ich mir eigentlich nicht vorstellen“, sagt der Messe-Sprecher.

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