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Berlin: Die Angst schafft tausend Schauermärchen

Eine Kollegin bat um Recherchehilfe: Am Wochenende habe sie von einer Freundin gehört, man sollte am 31. Oktober die öffentlichen Verkehrsmittel, Kaufhäuser und Flughäfen meiden, denn es sei wohl mit Anschlägen zu rechnen.

Eine Kollegin bat um Recherchehilfe: Am Wochenende habe sie von einer Freundin gehört, man sollte am 31. Oktober die öffentlichen Verkehrsmittel, Kaufhäuser und Flughäfen meiden, denn es sei wohl mit Anschlägen zu rechnen. Ihre Freundin habe dies ihrereits von einer absolut zuverlässigen Freundin, die mit einem Afghanen befreundet war. Als dieser die Beziehung vor wenigen Wochen löste, gab er ihr mit dem Hinweis, man habe sich ja mal sehr nahe gestanden, einen Abschiedsbrief mit dieser Warnung.

Die angeblich mit dem Afghanen befreundete Frau konnte nie ausfindig gemacht werden - aber das Gerücht kursiert in unterschiedlichen Versionen seit Wochen in der Stadt und beschäftigt die Polizei. Der Staatsschutz der Berliner Polizei bestätigte zahlreiche ängstliche Anrufe aus Berlin. Über die modernen Kommunikationsmittel wie SMS und e-mail verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Eine Lehrerin aus Zehlendorf berichtete der Redaktion gestern von verängstigten Eltern. Man glaubt in Zehlendorf sogar in der Sekretärin der Schule, an der die Lehrerin beschäftigt ist, die Frau identifiziert zu haben, die von ihrem angeblich afghanischen Freund den Brief erhalten und die Warnung veröffentlicht haben soll.

Ein weitere Leser wurde von seiner Schwester gewarnt. Sie erfuhr von den angeblich geplanten Anschlägen in einem Kindergarten. Diese Charlottenburger Kita bleibt dem Leser zufolge morgen sogar geschlossen, eine von den Erziehern geplante Halloween-Party für die Kinder falle deswegen aus.

"Nichts dran - außer von verkleideten Kindern, die an Halloween um Süßigkeiten betteln, haben wir nichts zu befürchten", beruhigte ein Kriminalbeamter. Ihm wurde die Warnung vor der Apokalypse schon in den unterschiedlichsten Fassungen zugetragen: In Süddeutschland soll demzufolge bereits heute der gefürchtete Tag sein. Schon am 15. Oktober sollte einer dritten Fassung zufolge angeblich London "in Schutt und Asche" gelegt werden. Aber die Stadt steht noch. Jetzt gibt es eine neue Version: Wieder betrifft es London, aber dieses Mal ist der Termin für die angeblichen Anschläge der 6. November.

Panikmache von Trittbrettfahrern, die in den letzten Wochen auch die Briefe mit Pulver verschickten, in dem immer wieder Milzbranderreger vermutet wurden? Niemand weiß es, denn noch nie konnte der Ursprung eines solchen Gerüchtes ermittelt werden. Die Polizei reiht diese angebliche Warnung daher in die modernen Legenden und Sagen ein wie jene Geschichte, die vor Jahren kursierte, wonach angeblich bei Ikea Kinder entführt wurden. Nie ist nachweislich in dem Möbelhaus ein Kind verschwunden. Eine noch frühere Version dieses Gerüchtes stammt aus dem Beginn der 90er Jahre: Ein Mann sei aufgetaucht, der eine frische Operationsnarbe aufweise. Er berichtete, er sei verschleppt worden. In Polen - oder wahlweise Russland, Italien, Spanien, Kolumbien, Venezuela - habe man ihm eine Niere entnommen und ihn dann ausgesetzt. Diese und ähnliche Geschichten der "Städtischen Sagen" - allesamt ohne Wahrheitsgehalt - hat Rolf Wilhelm Brednich in "Die Spinne in der Yucca-Palme" (Verlag C. H. Beck) gesammelt.

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