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Berlin: Die Berliner kaufen sich warm

An einem ungemütlichen Adventswochenende steigt in Geschäften und auf Weihnachtsmärkten die Stimmung

„Weniger kaufen, mehr Leben“ forderten die Initiatoren des „Buy Nothing Days“ auf dem Wittenbergplatz, aber die Flugblätter für Kaufmuffel halfen nichts. Die Leute strömten nur so in die Geschäfte und waren in seliger Einkaufsstimmung – Krise hin oder her. Der Handel, der in den vergangenen Wochen schlechte Umsätze beklagt hatte, zeigte sich zufrieden. Rund 180 000 Kunden besuchten allein das KaDeWe, schon vormittags waren die Parkhäuser dicht, die Autos stauten sich auf der Passauer Straße. Die Einkaufsstraßen waren stellenweise total verstopft: Mit dem ersten Adventssonnabend startete das Weihnachtsgeschäft von Null auf Hundert und gleich in die heiße Phase.

„Es ist erfreulich“, sagte Nils BuschPetersen, Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbandes. Die Kauflust sei offenbar geweckt; gestern gingen nach seinen Angaben vor allem Strickwaren, Software für Spiele, Spielwaren, Parfüm und Bücher. Nur bei Handys sei der Umsatz überraschend mäßig.

Mindestens eine Million Berliner waren unterwegs – nicht nur nach Weihnachtsgeschenken. Viele Geschäfte warben mit Sonderrabatten und nostalgischen Geldwechsel-Aktionen. Bei Woolworth gab’s auf alle Einkäufe einen Rabatt von 20 Prozent. Bei C & A konnte man in Mark zahlen. Allein in der Filiale am Kurfürstendamm beglich zeitweise jeder vierte Kunde in alten Scheinen und Münzen die Rechnung. Eine ältere Frau hatte ihren 50-Mark-Schein in einer Badetasche gefunden und kaufte mit dem Geld nun eine Bluse. Eine jüngere Kundin hatte gleich zwei Fünfzigmarkscheine in einer Schublade entdeckt, und einem Rentner kamen fast die Tränen, als er den neuen Pullover mit einem Zwanzigmarkschein bezahlte. Sie rechne immer noch in Mark, sagte eine jüngere Kundin, das werde sie sich wohl nie abgewöhnen.

Im KaDeWe, das mit seinem riesengroßen Weihnachtsbaum voller Goldschleifen und -kugeln die Besucher fast in Ehrfurcht versetzte, hatte man den Ansturm dringend erwartet. Das Weihnachtsgeschäft, sagte Direktor Volker Weihe, habe später als je zuvor eingesetzt, üblicherweise gehe es schon Anfang November los. Aber gestern war nun der Einkaufsknoten geplatzt, und die Kunden strahlten zumindest unter dem Baum in der Eingangshalle um die Wette. Gut gingen vor allem Wintersachen, weil es zahlreiche Sonderangebote gab.

Bei Kaufhof am Alexanderplatz sah es zunächst aus, als ob die Leute angesichts des trüben Wetters keine Lust zum Einkaufen hätten. Aber gegen 11 Uhr war das Haus „richtig voll“, und Direktor Detlef Steffens zeigte sich zuversichtlich, den Vorjahresumsatz zu erreichen. Anders als im KaDeWe waren die Kunden bei Wintertextilien zurückhaltend, aber bei Weihnachts- und Adventsschmuck kannten sie kein Halten. Die Bestände an Adventskalendern, gefüllt mit Schokolade, Spielsachen oder auch Bierdosen, mussten schnell nachgefüllt werden.

Wer keine Einkaufstüte trug, hatte den Reiseführer in der Hand. Besonders unter den Linden flanierten warm verpackte Touristen. Der Anblick zweier Schotten im Rock, auf den blanken Waden standen die blonden Haare senkrecht, brachte jeden zum Lächeln, der ihnen begegnete. Im Berliner Dom kamen und gingen die Reisegruppen, lauschten Vorträgen über Schinkels Architektur oder besuchten Hohenzollerngruft und Kuppel. Menschen auf der Suche nach einem Moment der Einkehr fehlten allerdings – der Dom kostet Eintritt, Besinnung bieten andere Kirchen gratis.

Voll war es in der „Linden-Lounge“ von VW. Ein Chor von 30 blonden jungen Frauen in Rot sang engelsgleich, Damen beim Kaffee überließen ihre Männer und Söhne den Autos, von unten zog Plätzchenduft herauf, Kinder saßen in freudiger Erwartung vor dem Kasperletheater – alles warm und trocken.

Trotz den grauen Wetters blieb die Festbeleuchtung auf den Einkaufsmeilen Ku’damm und Tauentzienstraße tagsüber aus, auch die „Linden“ lagen dunkel da. Das fanden viele schade, Berliner wie Touristen gleichermaßen. Denn richtig hell wurde es den ganzen Tag nicht, die Lämpchen hätten schön ausgesehen; in dieser Hinsicht sollte man bei den Sponsoren vielleicht nochmal anrufen. Die Sterne der Friedrichstraße strahlten dafür um so heller. cvl/fk

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