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Berlin: Die Bewährungszeit läuft ab

Bald endet die Förderung für die ersten Ich-AGs. Wir besuchen Existenzgründer, die sich künftig alleine behaupten müssen

Man weiß nicht, wie alles gekommen wäre, wenn Merit Schambach nicht eines Sonntagmorgens die Sendung mit der Maus gesehen hätte; wenn Susann Güngör nicht versucht hätte, ihr berufliches Glück mit Hilfe von Farben statt in Flugzeugen zu finden; wenn Frank Wojciechowski nicht als Einziger daran geglaubt hätte, dass man mit kaputten Waschmaschinen und Fernsehern anderer Leute Geld verdienen kann; und wenn Joachim Wittsack nicht beiläufig von seinem Chef erfahren hätte, dass er künftig nicht mehr gebraucht werde.

Vermutlich hätten sich die ehemalige Fotografin, die einstige Flugbegleiterin, der frühere Speditionskaufmann und der ehemals festangestellte Architekt im Jahr 2003 nicht selbstständig gemacht. So aber gehörten die vier Berliner zu den ersten Existenzgründern, die die rot-grüne Regierung förderte, um der Arbeitslosigkeit Herr zu werden. Inzwischen gehören sie zu den Ersten, die jenseits von Statistiken Aufschluss darüber geben, was die Ich-AG bringen kann: Denn bald läuft ihre Förderung aus, die die Arbeitsagentur maximal drei Jahre lang gewährt. Ihre Kleinunternehmen müssen sich dann selbst tragen. Wir beobachten die vier Existenzgründer seit März 2004 und haben die Diskussion in der großen Koalition über die Ich-AG zum Anlass genommen, sie wieder zu besuchen.

Merit Schambach muss, wie es aussieht, die nähere Zukunft nicht fürchten. Ihre Geschichte klingt, als hätte eine Werbeagentur für eine Hartz-Promotion-Kampagne sie ersonnen: Eine arbeitslose Fotografin, Anfang dreißig, verheiratet, zwei Kinder, sieht in der Sendung mit der Maus, wie Senf hergestellt wird. Und dass Senf mit so ziemlich allem gemischt werden kann. Die Fotografin stellt sich mit ihrem Mann, einem Opernkomponisten, in die Küche und versucht sich an Senfmischungen, die ihr tags zuvor noch absurd erschienen wären: Himbeer-Senf, Senf mit Wodka, Senf mit Kakao und Kaffee. Zuerst sind die Freunde begeistert, die das alles testen, später die Kunden. Inzwischen hat Merit Schambach einen 120-Quadratmeter-Laden in Kreuzberg. Seit ein paar Wochen beschäftigt sie außer einem freien Mitarbeiter auch einen Festangestellten und einen Mini-Jobber.

Ihr Laden, sagt Schambach, werfe genug Geld ab, um ihre vierköpfige Familien zu ernähren. Sie ist ruhiger als vor einem halben Jahr, als wir sie zuletzt besuchten. „Die Existenzangst ist weg. Es gibt noch Momente, da denke ich, es kann doch nicht ewig so gut weiterlaufen.“ Sie sagt, dass das Luxussorgen sind und ihr für Zweifel nicht viel Zeit bleibt. Das Weihnachtsgeschäft steht an: Weihnachtsmärkte, Großbestellungen. Viele Firmen ordern zum Verschenken kleine Sortimente in Holzkisten. Auch die Zwischenhändler in Frankreich und der Schweiz verkaufen die Senfkreationen jetzt besonders gut. Der Zeit ab Mai kommenden Jahres, wenn die Förderung ausgelaufen ist, sehe sie gelassen entgegen, sagt Merit Schambach. Auch dass sie vierteljährlich 1000-Euro für einen Förderkredit zurückzahlen muss, beunruhigt sie nicht.

Als Modellbeispiel für die 35 000 Existenzgründer in Berlin taugt sie freilich nicht. Laut Schätzungen der Arbeitsagentur Berlin-Brandenburg gibt die Hälfte der Ich-AGs wieder auf, die meisten schon im ersten Jahr. Zu diesem Ergebnis kommt auch das Institut für Wirtschaft und Verkehr der TU Dresden in einer bundesweiten Studie. Die Union hält die Ich-AG für teuer, aber nutzlos und will sie abschaffen. Die SPD wehrt sich. Noch ist nicht sicher, was aus der Ich-AG wird.

Das Institut der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit verteidigt in einer Analyse das im Zuge der Hartz-Reformen eingeführte Arbeitsmarktinstrument: Nicht jeder Abbruch sei eine Pleite, heißt es. Etliche Existenzgründer gäben ihre Selbstständigkeit auf, weil sie eine feste Anstellung bekommen hätten. Olaf Möller, Sprecher der Arbeitsagentur Berlin-Brandenburg sagt: „Für Berlin ist die Ich-AG ein gutes Instrument. Sie ist kein Allheilmittel, aber sie hat sich bewährt.“

Das sieht Frank Wojciechowski ganz ähnlich. Seine Geschäftsidee hat mit der Merit Schambachs eines gemein: Niemand hätte hohe Wetten darauf abgeschlossen, dass sie funktionieren kann. Das hat Wojciechowski, 52, nicht sonderlich beeindruckt. Seit mehr als zweieinhalb Jahren bietet er den Menschen an, Waschmaschinen, Kühlschränke oder Fernseher gegen eine Versicherungsgebühr zu reparieren. Innerhalb von drei Tagen. Das kostet 21 Euro im Monat, der Vertrag gilt zwei Jahre lang für acht Geräte. Ist eine kaputte Maschine nicht mehr zu retten, besorgt Wojciechowski gleichwertigen Ersatz. Oder gibt einen Zuschuss für ein neues Gerät.

„Was hätte ich damals tun sollen?“, fragt er. Er war Speditionskaufmann, 15 Jahre lang. Plötzlich war er gefeuert, und um die fünfzig. Dann für kurze Zeit Minijobber, Kurierfahrer. Die einzige Chance, die er sah, war die Ich-AG. Dass das Risiko groß ist, weil bei vielen Geräten die Garantie seit Ewigkeiten abgelaufen ist, weiß Wojciechowski. Aber in seiner Zeit als Speditionskaufmann hat er gewissermaßen angewandte Risikoforschung betrieben; er hat hunderte Schadensfälle überprüft. „Ich mache“, sagt er betont gelassen, „mein Geschäft über die Masse.“

Also muss er möglichst viele Kunden gewinnen. Das traut er sich zu. Wojciechowski ist einer, der Vertrauen wecken kann und das auch weiß. Groß, wortgewandt, tiefe Stimme. Seine Kundenkartei besagt dazu: 100 Verträge im ersten Jahr, 100 im zweiten Jahr. Noch reichen die Einnahmen nicht, damit Wojciechowski davon leben kann, wie er sich das vorstellt. „Aber es geht“, sagt er. Er lebt alleine, seine Wohnung ist sein Büro, und er ist sein eigener Mann für alles. Wenn er Freunde besucht, packt er immer einen Stapel Werbeflyer ein – für die Briefkästen der Nachbarn. Zuletzt gab es ein paar Rückschläge. So soll ihn ein ehemaliger Partner betrogen haben, er hatte ein paar Gesundheitsprobleme. Aber er ist sicher, dass er im kommenden Jahr 2500 bis 3000 Euro Einkommen haben wird. Dafür will er jetzt investieren, um seine Firma mit Beilagen in Firmenzeitschriften zu bewerben. „Ohne Hilfe von Banken.“ Einen Kredit aufzunehmen, fiele ihm nicht ein.

Susann Güngör vermutlich auch nicht. Aber das scheint vorerst auch nicht nötig. Mit ihren Feng-Shui-Beratungen verdient sie inzwischen knapp 2000 Euro im Monat, Tendenz: steigend. „Ich habe nach gut zwei Jahren Erfahrung ein klares Bild davon, wer meine potenziellen Kunden sind“, sagt die 41-Jährige. „Das gibt mir viel Sicherheit.“ Susann Güngör erweckt nicht den Eindruck, als sei sie jemand, der schnell an sich zweifelt. Man glaubt ihr, wenn sie sagt, ihre anfängliche Existenzangst suche sie nur noch selten heim. Immer mehr Zahnärzte, Designläden oder betuchte Familien suchen ihren Rat, wie Geschäftsräume oder Wohnungen so einzurichten seien, dass sie sich möglichst wohl fühlen. Sie zahlen gut dafür. Zudem hat Güngör nun einen Beruf gefunden, von dem sie sagt, es sei ihr Traumberuf. Sie ist ihr eigener Chef, das vor allem. Sie hat viel mit Menschen zu tun. Sie arbeitet von ihrer Wohnung aus und kann sich ihre Zeit selbst einteilen.

Das erste Jahr, sagt sie, sei schwer gewesen. Wenig Geld, unsichere Zukunft. Inzwischen hat sie nicht mehr das Gefühl, ihr Freund, ein Architekt, halte sie aus. „Das alles sind Erfolge, die mich weiter antreiben“, sagt sie. Und die dazu führen, dass sie ohne schlechtes Gewissen sagen kann, sie verlange für eine Beratung einen Stundensatz von 70 oder 80 Euro. Das Selbstvertrauen geht soweit, dass es sie „nicht verrückt macht, wenn es, wie dieses Jahr im Juni und Juli, nicht so toll läuft.“ Es sind Sätze, die sie vor einem halben Jahr noch nicht gesagt hat. Weil es läuft, nimmt sie gerne in Kauf, dass sie lange keinen Urlaub hatte. Ihr Leben als Flugbegleiterin erscheint ihr nur noch wie eine ferne Erinnerung.

Auf die Idee, seine Ich-AG als Erfüllung eines Traums zu bezeichnen, würde Joachim Wittsack nicht kommen. „Ich tue, was ich gut kann“, sagt der 51-Jährige. Von den vier Ich-AG-lern in dieser Geschichte ist er der zurückhaltendste. Er sagt: „Die lauten Töne, das Werben für mich selbst, das ist nicht meine Sache.“ Er war Architekt mit einer festen Stelle. Seit 2003 ist er freiberuflicher Architekt und Kartendesigner. Seine Kunden suchen stilvolle Einladungen oder Visitenkarten. „Das zweite Jahr war ganz gut.“ Aber zum Leben reicht es noch nicht. Wittsack sagt, dass er das Wagnis der Selbstständigkeit gar nicht erst eingegangen wäre, wenn seine Freundin nicht so verdiente, dass es für beide reichte. An seiner Haltung, dass er lieber angestellt wäre, hat sich nichts geändert. Man könnte den Eindruck gewinnen, Joachim Wittsack sei ein unglücklicher Existenzgründer. Aber das stimmt nicht. Er sagt: „Ich fühle mich deutlich besser, wenn ich etwas tue und Geld bekomme, als wenn ich nichts täte und trotzdem Geld vom Staat bekäme.“

Es hat mit seinem Selbstwertgefühl zu tun, dass er auf jeden Fall weitermachen wird, wenn er die monatlich 240 Euro Förderung bald nicht mehr bekommt.

Mehr Informationen:

Merit Schambach: Tel. 7889 1101

Frank Wojciechowski: Tel. 855 6197

Susann Güngör: Tel. 0163.8863 608

Joachim Wittsack: Tel. 2362 9783

Marc Neller

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